Was ist 2.000 Quadratkilometer groß, hat zehn Halligen, vier Inseln und drei Krankenhäuser? Nordfriesland! Wer arbeitet dort an zehn Standorten, beschäftigt 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und fährt über 32.000 Einsätze im Jahr? Der Rettungsdienst Nordfriesland! Wer ein Mitglied dieses Teams werden will und sein Berufsleben der Notfall-Erstversorgung und somit der Rettung von Menschenleben widmen möchte, muss seit dem 1. Januar 2014 die dreijährige Ausbildung zum Notfallsanitäter bzw. zur Notfallsanitäterin absolvieren. Der Andrang ist groß, doch nicht alle Bewerberinnen und Bewerber sind für diesen Beruf geeignet. Worauf kommt es an? Wie läuft die Ausbildung ab? Und was unterscheidet den Rettungsdienst Nordfriesland von anderen Notdiensten? ME2BE hat angehende Notfallsanitäter in Nordfriesland besucht.
Rettungswache Tönning. Es ist 20.30 Uhr. Ben und Jannek sind Auszubildende im zweiten Ausbildungsjahr. An diesem Abend essen sie gemeinsam Pizza und verfolgen die Fußball-WM im Fernsehen … während der Schicht! Wie das geht? Ganz einfach: Sie absolvieren die Ausbildung zum Notfallsanitäter beim Rettungsdienst Nordfriesland, haben Nachtschicht und warten – voll einsatzbereit – bis ein Notfall gemeldet wird!
Wer jetzt denkt: „Cool. Entspannter Job. Da bewerbe ich mich gleich mal!“, sollte auf jeden Fall weiterlesen und sich mit einigen Details vertraut machen. Das Berufsbild Notfallsanitäter/in ist sehr speziell und unterscheidet sich fundamental von anderen Ausbildungsberufen.
Berufsprofil: Notfallsanitäter/in
Jens-Peter Lindner ist Leiter des Rettungsdienstes Nordfriesland. Seit sieben Jahren lenkt er das Team der männlichen und weiblichen Rettungssanitäter, Rettungsassistenten und neuerdings Notfallsanitäter im Kreis Nordfriesland. Er weiß, worauf es in dem Beruf ankommt und welche Anforderungen Bewerberinnen und Bewerber erfüllen müssen. „Ich bin kein Freund starrer Anforderungsprofile“, meint der gebürtige Friese. „Unsere Mitarbeiter kommen aus ganz unterschiedlichen Bereichen und bringen verschiedene Kenntnisse und Fähigkeiten mit. Basisanforderungen sind: Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit, Menschlichkeit und Empathie. Unsere Klienten sind Menschen, die sich in teilweise extremen Notsituationen befinden.
Um sie angemessen zu unterstützen und ihnen Hilfe zu leisten, bedarf es einer gewissen persönlichen Reife. Für die Verstärkung unserer Teams suchen wir deshalb Nachwuchskräfte mit einem sozialen Profil, großer Neugier, guter Fitness und einem ausgeprägtem Teamgeist. Darüber hinaus müssen sie gut kommunizieren können, sowohl mit den Teampartnern als auch mit den Kranken und Patienten. Man muss Menschen mögen! Gleichzeitig müssen wir Kritik und steigenden Aggressionen von Dritten und ‚Gaffern‘ standhalten. Notfallsanitäter/innen müssen immer die Ruhe bewahren und dürfen keine Barrieren im Kopf haben!“
Wer sich für die Ausbildung bewerben möchte, muss 18 Jahre alt sein, mindestens einen guten Mittleren Schulabschluss (oder höherwertig) oder Ersten allgemeinbildenden Schulabschluss mit abgeschlossener Berufsausbildung besitzen, die gültige Führerscheinklasse B (alt: Klasse 3) vorweisen können sowie eine gesundheitliche Eignung zur Ausübung des Berufs. Das Online-Bewerbungsverfahren startet zum Herbst auf rettungsdienst.nordfriesland.de mit einer persönlichen Log-In-Vergabe und führt im Erfolgsfall über ein Assessment-Center zu einem persönlichen Vorstellungsgespräch. Im Anschluss wartet eine dreijährigen Vollzeitausbildung beim Kreis Nordfriesland, die mit einer staatlichen Prüfung abgeschlossen wird. Der Beruf Notfallsanitäter/in wird zu den Gesundheitsfachberufen gezählt.
Ausbildungsprofil: Viel Schule, viel Praxis!
„Die Ausbildung ist interessant und extrem abwechslungsreich … einfach spannend!“, schwärmt Azubi Ben Ströver, „doch das Wichtigste und gleichzeitig Schönste an unserem Beruf ist die intensive Teamarbeit und unser Zusammengehörigkeitsgefühl! Die Ausbildung selbst ist in drei Teile gegliedert. Insgesamt verbringen wir – abwechselnd in Blöcken – 1.960 Stunden im praktischen Dienst auf unserer Stammwache, 1.920 Stunden im Schulunterricht an der staatlich anerkannten Ausbildungsstätte für Notfallsanitäter/innen sowie 720 Stunden bei diversen Krankenhauspraktika in nordfriesischen Kliniken und Krankenhäusern.
„Zu merken, dass alle Abläufe gut funktionieren und du dein Wissen im Einsatzfall abrufen kannst, gibt dir einen großen Schub Selbstvertrauen!“
-Ben Ströver
Während der Praxisblöcke im ersten Ausbildunsgsjahr fahre ich als Azubi bei Einsätzen nur als ‚Dritter‘ auf dem Rettungswagen (RTW) mit. Dadurch habe ich viel Zeit, die Einsätze zu beobachten und daraus zu lernen. Die Mindestbesetzung besteht aus zwei Rettern, zusätzlich eventuell ein Notarzt sowie ein Azubi. Zur Mitte des zweiten Ausbildungsjahres, nach genau 18 Monaten, legen wir eine Zwischenprüfung ab. Wer sie besteht, darf als ‚Zweiter‘ auf Rettungsfahrten eingesetzt werden. In der Regel übernehmen die ‚Zweiten‘ den Fahrer-Job und steuern den RTW oder KTW oft auch mit Blaulicht und Martinshorn an den Einsatzort. Schritt für Schritt lernen wir auf diesem Weg, mehr Verantwortung zu übernehmen.“
Auch Jannek Hansen hat die Zwischenprüfung vor Kurzem geschafft „Das erste Mal als ‚Zweiter‘ mitzufahren“, erinnert sich der 20-jährige Tönninger, „war ein besonderer Moment. Plötzlich war ich für das Fahrzeug und die Fahrt verantwortlich und musste während des gesamten Einsatzes Entscheidungen treffen. Dann zu merken, dass alle Abläufe gut funktionieren und du dein Wissen im Einsatzfall abrufen kannst, gibt dir einen großen Schub Selbstvertrauen. Das Team hilft dir dabei in jeder Sekunde!“
Ob als zweiter oder dritter Teampartner … Notfallsanitäter sind am Einsatzort oft die ersten! Für diesen wichtigen Beruf bietet der Rettungsdienst Nordfriesland jedes Jahr mehrere Ausbildungsplätze an. Wer seine Ausbildung antritt, wird auf der Stammwache in Husum, St. Peter-Ording, Tönning, Garding, Niebüll oder Högel eingesetzt. Dann beginnt eine abwechslungsreiche Ausbildungszeit in einem lebenswichtigen Gesundheitsberuf. Die Besonderheiten des Arbeitgebers fasst Rettungsdienstleiter Lindner zusammen: „Wir sind einer der wenigen kommunalen Rettungsdienste Schleswig-Holsteins und haben mit den Inseln Sylt, Föhr, Amrum, Pellworm, aber auch mit dem touristenstarken Ort St. Peter-Ording, ein sehr spezielles Einsatzumfeld. Neben der besonderen Topographie bieten wir unseren Auszubildenden eine hohe Ausbildungsqualität, modernste Fahrzeuge und Einsatzausrüstungen, außerdem hervorragende Beschäftigungschancen. Wer seine Ausbildung gut abschließt, hat beste Möglichkeiten, ins Team übernommen zu werden.“
WICHTIGE VOKABELN
RTW – Rettungstransportwagen
KTW – Krankentransportwagen
NEF – Noteinsatzfahrzeug
ITW – Intensivtransportwagen
Baby-NAW – Baby-Notarztwagen
RTH – Rettungshubschrauber
Erzähl mal…
Ben Ströver, 22 aus Risum-Lindholm, 2. Ausbildungsjahr zum Notfallsanitäter beim Rettungsdienst Nordfriesland.
„Ursprünglich wollte ich studieren. Aber was? Ich habe mich für die Fächer Wirtschaft, Politik und Sport interessiert, aber auch für soziale und medizinische Berufe. Entschieden habe ich mich letztlich für die duale Ausbildung zum Notfallsanitäter. Warum? Weil ich die Kombination der Aufgabenbereiche reizvoller als ein Studium finde: Intensiver Kontakt mit Menschen in einem technisch anspruchsvollen Umfeld mit täglich neuen Herausforderungen! Der Plan ist aufgegangen. Ich hab den Beruf gefunden, der zu mir passt! Doch die Arbeit im Rettungsdienst ist nicht jedermanns Sache! Wer beispielsweise Berührungsängste mit fremdem Menschen hat, kein Blut sehen kann oder Schichtdiensten aus dem Weg gehen möchte, sollte sich beruflich anderweitig orientieren. Wer damit klar kommt, wird eine interessante Ausbildung in einem tollen Team erleben und täglich neuen Menschen begegnen!“
Jannek Hansen, 20 aus Tönning, 2. Ausbildungsjahr zum Notfallsanitäter beim Rettungsdienst Nordfriesland.
„Ich erlerne den besten Beruf der Welt! Bereits als Jugendlicher bei der Freiwilligen Feuerwehr verspürte ich den Wunsch, Menschenleben zu retten. Als angehender Notfallsanitäter kann ich mich noch direkter mit der Rettung und dem Transport von kranken und verletzten Personen beschäftigen. Mein schönster Moment während der Ausbildung? Da gibt es viele! Mein erster echter Einsatz als zweiter Mann und Fahrer eines RTW war natürlich ein Höhepunkt. Aber es ist auch jedes Mal ein schönes und bestätigendes Gefühl, wenn sich ein Patient nach einem Notfalleinsatz für die Arbeit bedankt und es ihm wieder besser geht! Übrigens: Auch bei Krankentransporten übernehmen wir eine wichtige Betreuungsfunktion. Wenn ich beispielsweise hinten im KTW neben einem kranken Menschen sitze, schaue ich nicht auf mein Handy, sondern unterhalte mich mit ihm und versuche beruhigend auf ihn einzuwirken. Menschen offen und mit Neugier zu begegnen, ist in unserem Beruf besonders wichtig!“
TEXT Christian Dorbandt
FOTOS Frieder Dillmann