KI lehren, anwenden, demokratisieren – ein Gespräch mit Professorin Annina Neumann

KI lehren, anwenden, demokratisieren – ein Gespräch mit Professorin Annina Neumann

Schleswig-Holstein hat Großes vor. Die kleinen und mittleren Unternehmen des Landes sollen in die Lage versetzt werden, künstliche Intelligenz (KI) in ihren Prozessen einzusetzen. Die Behörden sollen dank KI transparenter und bürgerfreundlicher werden, und sie soll Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit erhalten und stärken.

Annina Neumann, KI-Professorin an der Hochschule Flensburg, ist eine der ersten Hochschullehrerinnen, die im Rahmen der KI-Strategie der Landesregierung vor einem Jahr ihren Lehrstuhl im Norden übernahm. Sie ist eine von zwölf Hochschullehrern, die das Land in den nächsten fünf Jahren mit insgesamt neun Millionen Euro fördert.
Im Interview erzählt sie, warum es so wichtig ist, gerade jetzt das Wissen für den Umgang mit KI weiterzugeben und für alle Bürger einfache Zugänge zu KI-Systemen zu schaffen. Sie beleuchtet, welche technischen Hemmnisse es noch gibt und wie problematisch es ist, dass die KI-Welt von kommerziellen Monopolen in den USA abhängig ist.

Persönliche Zugänge

Was hat Sie bewogen, sich dem Thema Künstliche Intelligenz zu widmen, der KI?

Im Grunde bin ich schon gleich im Studium dazu gekommen. Damals gehörte ich zu den ersten Jahrgängen, die Bioinformatik studierten. Später habe ich ja obendrein noch einen Master in neurokognitiver Psychologie gemacht. Das sind beides sehr interdisziplinäre Studiengänge, die auch einen sehr hohen Anteil an KI-Themen haben. Dazu gehören maschinelles Lernen, Algorithmen, Optimierungsverfahren, Kognitionswissenschaften. Das hat mich dann letztlich auch für Positionen in der Wirtschaft rund um das Thema KI qualifiziert.

Womit genau haben Sie sich in der Industrie beschäftigt?

Ich war ja in mehreren Branchen, und lange Zeit auch in der Beratung tätig. Im Grunde genommen habe ich unterschiedliche Unternehmen darin unterstützt, KI-Systeme zu planen und umzusetzen, unabhängig von der Branche. Da war wirklich alles dabei, von Empfehlungsmaschinen bei Werbeangeboten bis hin zur so genannten ,Predictive Maintenance‘, also vorausschauende Wartungstechniken in der Industrie, oder auch Routenoptimierung. Im Grunde genommen ging es immer darum, bei der Einführung von KI Fragen zu beantworten, wie: Macht das für uns Sinn? Wie würden Sie da rangehen? Haben wir die Daten für die KI? Wie baut man ein KI-Projekt?

Was hat Sie schließlich dazu bewogen, als Professorin an die Hochschule nach Flensburg zu gehen?

Nach fast 15 Jahren in der freien Wirtschaft hatte ich das Gefühl, dort alles gesehen zu haben, was ich gerne sehen wollte. Irgendwann entstand dann der Wunsch, auch meinen Beitrag bei der Ausbildung des KI-Nachwuchses zu leisten.
Mir ist in der Wirtschaft oft aufgefallen, dass es darauf ankommt, qualifizierte und gut ausgebildete Leute zu haben. So hatte ich einfach den Wunsch, mein Wissen und meine Erfahrungen irgendwie weiterzugeben. Natürlich wollte ich auch ein bisschen flexibler sein und meinen Schwerpunkt auf Themen legen, die mir selber wichtig sind. Weil sie vielleicht gesellschaftliche Relevanz besitzen, aber in einem Unternehmen nicht unbedingt die größte Priorität haben. Das kann man als Hochschullehrerin einfach besser über Forschung und Transfer machen und dazu eigene Schwerpunkte setzen.

KI lehren – in Theorie und Praxis

Was ist ganz konkret der Inhalt Ihrer Lehre?

Das kommt tatsächlich auf den Studiengang und auf das Modul an. Ich lehre ja relativ breit in verschiedenen Studiengängen. In den Informatik-Studiengängen unterrichte ich verschiedene KI-Kurse, zum Beispiel maschinelles Lernen oder wie man intelligente Programme programmiert, aber auch Grundlagen von Algorithmen und Datenstrukturen. Das sind klassische Grundlagen in der Informatik, die aber auch für KI eine wichtige Voraussetzung sind.
Aber ich unterrichte auch in Querschnitts-Studiengängen, also Medien- oder Wirtschafts-Informatik. Da geht es meistens mehr darum, die KI zu verstehen und einfach zu schauen, wie ich denn so eine KI in meinem Fachgebiet nutzen kann.
Es gibt an der Hochschule zum einen die Fachbereiche, wie zum Beispiel Information und Kommunikation oder Wirtschaft. Zum anderen gibt es die Studiengänge. Dazu gehören angewandte Informatik, Medieninformatik, Wirtschaftsinformatik in den Bachelor-Studiengängen. In den Masterstudiengängen betrifft das Business Management und E-Health.

An den Schnittstellen zwischen Mensch und KI

Auf welche Bereiche konzentrieren sich Ihre Forschungen?

Was mich aktuell an Forschungsthemen interessiert, sind alle Themen, wo es um KI und im weitesten Sinne um die Schnittstellen zum Menschen geht, der Interaktion mit den Menschen. Also besonders wichtig ist, KI Systeme zu haben, die verständlich und transparent und gleichzeitig auch kontrollierbar sind. Ich möchte von den großen Blackboxes wegkommen, um gemeinsame Arbeitsprozesse zwischen Menschen und KI-Systemen entwickeln zu können und sicherstellen, dass Menschen und KI tatsächlich gemeinsame Ziele haben. Man müsste es schaffen, koordiniert die gleichen Ziele zu verfolgen, so dass der Mensch zumindest einschätzen kann, wie sich die KI verhält, und dass die KI einschätzen kann, wie sich der Mensch verhält. Die Schnittstelle zwischen Mensch und KI ist das, was mich forschungsmäßig am meisten interessiert.

Welches sind die Potenziale von KI-Anwendungen in Schleswig-Holstein?

Die Frage fällt mir ein bisschen schwer zu beantworten. Grundsätzlich gibt es natürlich Potenziale für Schleswig-Holstein.
Aber grundsätzlich sind KI-Anwendungen nicht spezifisch für Schleswig-Holstein. Ich sehe daher die gleichen Potenziale, die es für alle gibt, beispielsweise solche, mit denen man dem Fachkräftemangel in unterschiedlichen Bereichen entgegenwirken kann.
In Schleswig-Holstein gibt es Branchen, die für das Land wichtig sind, zum Beispiel in Bereichen der erneuerbaren Energien oder im Maritimen, in der Landwirtschaft, im Tourismus. Da macht es natürlich absolut Sinn, speziell dafür zusätzlich KI einzubinden.

Inwieweit ist die KI-Entwicklung in Schleswig-Holstein – überhaupt in Deutschland und Europa – abhängig von den Entwicklungen und den Algorithmen aus den USA und China? Die meisten der Algorithmen, der Rechenprogramme, liegen ja als Bausteine in Repositorien, in Speichern in den USA und China.

Das ist natürlich ein sehr großes Thema. Grundsätzlich würde ich sagen, dass in gewisser Weise gerade die ganze Welt abhängig ist vor allem von den großen kommerziellen Entwicklungen, die hauptsächlich auch in den USA stattfinden.
In den USA selbst melden sich Forschungseinrichtungen, die in dieser Hinsicht ebenfalls auf die besorgniserregende Situation hinweisen. Selbst Elite-Universitäten können das benötigte Budget gar nicht mehr selbst aufbringen, um damit entsprechende Modelle oder datenintensive eigene Entwicklungen zu machen.
Tatsächlich konzentriert sich das gerade sehr stark auf ein paar kommerzielle Anbieter. Das sieht auch die gesamte Forschungswelt eigentlich ein bisschen mit Sorge. Da sind wir gar nicht mal so alleine.

Es entwickeln sich gerade KI-Monopole.

Ja, genau!

Benötigen Sie für Ihre Forschung eigentlich mehr Großrechner oder mehr Daten? Zugang zu mehr Daten in Schleswig-Holstein?

Das kann ich noch nicht zu hundert Prozent einschätzen. Eigentlich hat eine KI nie genügend Daten. Je mehr, desto besser.
Ich sehe auf jeden Fall, dass in Schleswig-Holstein in der Richtung schon ziemlich viel gibt passiert, und dass es auch viel Unterstützung. Man merkt, dass die Landesregierung sehr klar hinter dem Thema steht. Natürlich braucht es aber auch einfach Zeit, um die Dinge aufzubauen.
Ich sehe hauptsächlich die Hürde, dass wir im Bereich der grundlegenden Digitalisierung noch einiges aufzuholen haben. Da muss man erstmal ran. Auch dem Thema ,Cloud‘ muss man sich noch mal widmen. Denn es ist nicht unbedingt Sinn der Sache, dass jetzt verschiedene kleine Rechenzentren irgendwo lokal entstehen, denn es gibt Cloud-Technologien, die im Bereich KI sehr viel genutzt werden. Aber ich glaube, es tut sich gerade einiges. Insofern bin ich durchaus zuversichtlich.

Alles andere als ein Wundermittel

Stimmt mein Eindruck, dass die KI jetzt auf unvorbereitete digitale Lösungen stößt, dass die Digitalisierung noch nicht so weit vorangeschritten ist, wie sie eigentlich könnte?

Ja, das sehen Sie durchaus richtig. Denn das birgt auch die Gefahr, dass man KI als Wundermittel sieht und denkt: Es ist ja nicht so schlimm, dass wir nicht digitalisiert haben, dann machen wir halt gleich alles mit KI. Das funktioniert natürlich nicht.
Bei meinen Kundenprojekten in der freien Wirtschaft war das eines der ersten Punkte, die wir von vornherein ansprachen, um sicherzustellen, dass sich nicht jemand in das Thema KI verrannt hat und KI nur als Super-Wunderheilmittel sieht, mit dem alles schneller, besser und kostengünstiger geht. Das bringen wir schon sehr, sehr früh auf die Agenda in den Transfer-Projekten oder den Workshops, die wir durchführen. Wir sagen schon am Anfang: Wenn es eine einfachere Lösung gibt, dann ist die durchaus zu bevorzugen. KI wird schon schnell teuer und erfordert viele Daten. Wenn man sich nicht vorher dessen bewusst ist, dann macht es gar keinen Sinn, damit loszulegen.

Im Spannungsfeld zwischen Transparenz, Kontrolle und Demokratisierung

Was bedeutet Demokratisierung der KI für Sie?

Also für mich ist der Hauptpunkt bei Demokratisierung von KI, dass man einen möglichst einfachen Zugang zu KI Systemen hat; damit wirklich jeder die Systeme nutzen kann und vor allem, dass auch jeder die Möglichkeit bekommt zu verstehen, wie KI zumindest von den Grundzügen her funktioniert. Zum Beispiel muss man sicherstellen, dass schon Schülerinnen und Schüler in der Schule mit dem Thema in Berührung kommen, aber auch, dass es später frei zugängliche Fortbildungsangebote gibt.
Jeder der sagt, ich möchte mich mit KI auseinandersetzen, sollte auch Möglichkeiten und einen einfachen Zugang dazu haben. KI-Systeme dürften nicht für bestimmte Menschen unerschwinglich sein, und sie sollen natürlich auch nicht einseitig die Interessen von bestimmten Gruppen vertreten. Es gehört zur Demokratisierung dazu, dafür zu sorgen, dass KI-Systeme wirklich im Interesse der breiten Bevölkerung sind.

Was muss passieren, damit sich bei KI-Systemen Transparenz und Rechenschaftspflicht auch verwirklichen lässt?

Das ist auch wieder ein sehr breites Thema. Ich habe den Eindruck, dass wir dabei noch ganz am Anfang stehen, weil wir meines Erachtens noch nicht einmal ein gemeinsames Verständnis von diesen Begriffen haben, wenn es um KI geht.
Was meinen wir denn eigentlich zum Beispiel mit Transparenz? Heißt das, ich soll die Entscheidungen der KI nachvollziehen können? Wenn ich einen Menschen frage, warum hast du jetzt diese Entscheidung getroffen, dann schaue ich ja auch nicht in das Gehirn dieses Menschen, um zu sehen, welche Neuronen jetzt gerade mit welcher Gewichtung und welchen Neurotransmittern mit anderen kommunizieren. In diesem Fall wäre Transparenz, wenn die Person mir ihre Entscheidung erklärt und in für mich verständlichen, relativ einfachen Begriffen sagt, wie sie zu einer Entscheidung gekommen ist.
Was erwarten wir jetzt von einer KI, wenn wir sagen, sie soll transparent sein? Die mathematischen Formeln anzuschauen, bringt nichts. Erwarte ich dann von einer KI, dass sie ihre Entscheidung in einfachen Begriffen darlegt? Und wenn ich das erwarte, dann kann man ja wieder die Frage stellen: Brauche ich denn dafür wirklich eine KI? Könnte ich nicht genauso gut gleich einen Menschen fragen?
KI-Entscheidungen sind ja sehr komplex. Genau dafür haben wir sie ja, weil die in der Lage sind, unglaublich viele Daten auszuwerten und unglaublich viele komplexe Muster zu identifizieren. Wenn ich sage, mach‘ mir das doch mal transparent, wie soll denn die KI diese komplexen Berechnungen für einen Menschen verständlich machen?
Ähnlich bei der Rechenschaftspflicht. Meinem Rechtsverständnis nach kann ein Algorithmus gar nicht rechenschaftspflichtig sein. Wer ist es denn dann? Der Entwickler oder der Chef des Unternehmens oder der Anwender?
Beispiel Straßenverkehr: Da hat man den Fahrzeughalter, den Fahrzeugführer und den Hersteller. Alle haben unterschiedliche Rechte und Pflichten. Dafür, dass das Auto einen gültigen TÜV hat, muss der Fahrzeughalter sorgen. Der Fahrzeugführer ist dafür verantwortlich, dass er im Straßenverkehr die Verkehrsregeln einhält. Und der Hersteller haftet dafür, dass die Fertigung bestimmten Standards entspricht.
Ich glaube, wir brauchen wahrscheinlich auch bei KI letztlich so ein System, das zwischen verschiedenen Rollen und verschiedenen Verantwortlichkeiten differenziert.

Die Aufgaben der Wissenschaft

Das ist viel Raum für gesellschaftliche Debatten. Wie kann die Wissenschaft dazu beitragen, dass diese gesellschaftliche Debatte mehr Fahrt aufnimmt?

Erstens muss man alles dafür tun, dass die Systeme so weit wie möglich für die Menschen verständlich und kontrollierbar sind.
Systeme, deren Entscheidungen ich nicht kontrollieren kann, sind natürlich schwierig gesellschaftlich einzubinden. Ich denke, dass die Wissenschaft sehr, sehr offen bleiben und überhaupt dafür sorgen sollte, dass diese Debatte in der Bevölkerung ankommt. Mit Themen wie der Demokratisierung von KI, mit Bildungsangeboten, mit der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen. So, dass man darüber diskutieren kann und dass die Menschen, die es in ihrem Leben betrifft, auch mitdiskutieren können.
Ich glaube, dass viele sich noch gar nicht so zutrauen, zurzeit wirklich über KI zu sprechen, weil sie immer denken, oh, davon verstehe ich nichts. Das finde ich schade. Sehr gerne möchte ich dazu beitragen, dass sich mehr Menschen trauen, nachfragen und eine fundierte Meinung haben.

TEXT Hanns-J. Neubert
FOTO Hochschule Flensburg