„Wir suchen Leute mit Hunger auf Zukunft!“
Im Gespräch mit dem Präsidenten der Muthesius Kunsthochschule Kiel Dr. Arne Zerbst über Kunst, Kreativität und Offenheit.
In Wäldern gibt es Bäume. An Kunsthochschulen gibt es kreative Studiengänge. Keine Frage. Das ist logisch. Doch an wen richtet sich das Studienangebot? Und welche Perspektiven ergeben sich daraus?
ME2BE: Hallo, Herr Dr. Zerbst. Vielen Dank für die Einladung. Ein aktuelles Thema von ME2BE CAMPUS lautet „Kreative Studiengänge“. Klar, dass wir bei Ihnen fündig werden, denn ‚Kreativität‘ ist in der DNA von Kunsthochschulen verankert. Wie verwenden Sie diesen Begriff?
Dr. Arne Zerbst: Ich bemühe das Wort ‚Kreativität‘ ungern. Kreativ sind alle und kreative Studiengänge gibt es viele. Auch der Alttestamentler braucht Kreativität bei einer Hebräisch-Übersetzung. Natürlich besitzen wir als Kunsthochschule eine gewisse Kernkompetenz in Sachen Kreativität. Ich denke, dass wird uns auch von außen zugestanden. Persönlich verwende ich lieber die Formulierung „anders denken“ oder „neu denken“.
Studierende können bei uns genau das einüben, was die Gesellschaft braucht: Offen sein und sich einbringen!
Was bedeutet das zum Beispiel für Schülerinnen und Schüler, die sich für ein Studium an der Muthesius Kunsthochschule interessieren? An wen richten sich Ihre Angebote?
Wir suchen junge Menschen, die anders denken. Unser Angebot richtet sich an Personen, die anders sind, neugierig und daran interessiert, die Zukunft mitzugestalten und zu verändern. Etwas Neues schaffen, bedeutet auch gleichzeitig immer, etwas Bestehendes zu verändern. Wir suchen Leute mit Hunger auf Zukunft!
Sie selbst haben nach der Schulzeit Philosophie, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Braunschweig studiert. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Ich bin meinen eigenen Interessen gefolgt. Zu studieren, wofür man sich brennend interessiert – das werde ich auch meinen Kindern empfehlen, falls sie später studieren möchten. Für die Philosophie habe ich mich entschieden, weil ich mich von vielen Wissenschaften angezogen gefühlt habe! Ich habe stets Verbindungen und Zusammenhänge gesucht, um den historischen Horizont der Ideen besser erkennen zu können. Und auch das ‚Freie‘ hat mich an der Philosophie immer interessiert.
Welche Bedeutung hat eine Kunsthochschulausbildung? Welche beruflichen Perspektiven bieten sich Muthesius-Absolventen?
Kunsthochschulen haben eine starke gesellschaftliche Relevanz. Sie sind Laboratorien für Zukunft und Offenheit. Studierende können bei uns genau das einüben, was die Gesellschaft braucht: Offen sein und sich einbringen! Sie bewegen sich dabei permanent in dem Bereich zwischen Machen und Denken. Wir geben ihnen den Raum und die Freiheit, sich zu künstlerischen Persönlichkeiten zu entwickeln, die eine produktive Wucht entfalten können. Gerade deshalb fördern wir unsere Absolventinnen und Absolventen, um in vielen unterschiedlichen Arbeits- und Lebensbereichen Beschäftigung zu finden. Sie sind es, die unsere Zukunft maßgeblich prägen werden. Man braucht sich nur an die eigene Schulzeit zurückzuerinnern. Welche Lehrer bleiben in Erinnerung? Nicht selten doch die Kunstlehrerinnen und -lehrer. Warum? Weil sie an Kunsthochschulen studiert haben! Ich würde mir wünschen, dass mittelständische Unternehmen in ihrer Stellenbesetzung zukünftig mutiger werden und Muthesius-Absolventen in ihre Teams holen.
Für welche männlichen oder weiblichen Philosophen, Schriftsteller oder bildenden Künstler interessieren Sie sich besonders?
Ach, das ist so ein weites Feld! Aber okay, ich versuche mal eine spontane Auswahl zu treffen: Aktuell lese ich gern die philosophischen Texte von Slavoj Žižek. Das ist ein unglaublich origineller Kopf und tendenziell ‚Verrückter‘, den ich in Berlin und München persönlich getroffen habe. Ja, und Schelling ist natürlich eine alte Liebe von mir. In der Literatur nenne ich zunächst mal die Autorinnen und Autoren, die wir aktuell in unserer Reihe Sprachkunst an der Muthesius Kunsthochschule begrüßen: Ijoma Mangold, Mariana Leky und Sasha Marianna Salzmann. Besonders geprägt haben mich in der Literatur die Werke von Hölderlin und Kafka. Und im Bereich der Bildenden Kunst erinnere ich mich an eine prägende Begegnung mit den Werken Francis Bacons. In einer Ausstellung in Washington D.C. befand ich mich plötzlich „inmitten“ eines Selbstbildnisses. Durch konzeptionelle Verspiegelungstechnik begegnete ich mir selbst – diese existenzielle Wucht hat mich voll erwischt!
TEXT Christian Dorbandt
FOTO Eric Genzken