Berufsorientierungslehrer Hauke Kretschmann geht dieser Frage seit nunmehr 10 Jahren zusammen mit seinen Schülern der Goethe-Schule auf den Grund. Wir wollen von ihm wissen, welche Herausforderungen in diesem außergewöhnlichen Jahr auf ihn warten und worauf die Schüler bei der Suche nach ihrem Traumjob heutzutage besonders Wert legen.
Herr Kretschmann, warum wird der Berufsorientierungsunterricht immer wichtiger an vielen Schulen?
Der pädagogische Anteil in unserer Arbeit als Lehrer wird immer größer, daher tragen wir auch eine besondere Verantwortung, was mit den Schülern nach der 10. Klasse passiert. Mir ist es wichtig, ihnen einen guten Start ins Berufsleben zu ermöglichen.
Wie machen Sie das?
Meine Kernaufgabe sehe ich darin, die Schüler auch auf Berufe aufmerksam zu machen, die ihnen eher unbekannt sind. Wir wollen Perspektiven aufzeigen und vermitteln, dass auch eine Ausbildung ganz viele Aufstiegsmöglichkeiten bietet. Die Zeiten, in denen man zur Schule gegangen ist, seine Ausbildung gemacht hat und dann bis zur Rente in einem Betrieb gearbeitet hat, sind längst vorbei. Mit den Fächern Technik, Berufsorientierung und Verbraucherbildung bereiten wir unsere Schüler optimal auf ein Leben nach der Schule vor: Im WiPo-Unterricht lernen sie, wie ein Betrieb funktioniert. Im Fach Technik geht es darum, wie in einem Betrieb gearbeitet wird und das Fach Verbraucherbildung vermittelt, wie sich die Schüler im Leben positionieren können.
Welche Themen finden noch im Berufsunterricht an der Goethe-Schule statt?
In der 8. Klasse beschäftigen wir uns sehr intensiv mit Themen wie Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung. Wir versuchen, zusammen mit den Schülern ihre Stärken und Schwächen herauszufinden. Dafür arbeiten wir ganz viel mit dem „Profil- PASS“, der den Schülern dabei hilft, ihre Kompetenzen systematisch zu erarbeiten und darzustellen. Ein Baustein in diesem System ist zum Beispiel das Projekt Rückenwind: Die Kinder der 8. Klassen gehen sechs Monate lang einmal in der Woche ins Altenheim. Sie lernen dort Teamfähigkeit, Höflichkeit und verbessern ihre Sozialkompetenz. Zusätzlich schauen wir uns mit den Schülern ganz konkret Berufsbilder an und machen den Test „Beruf Universum“ von Planet Beruf: Anhand von Mathe- und Deutschübungen zeigt ihnen das Universum, welche Berufe zu ihnen passen könnten. Ein schöner Einstieg, da viele Schüler ganz überrascht sind und auf neue Ideen kommen.
Die Berufsinformationsmesse BIM ist ein wichtiger Bestandteil auf dem Weg zum Traumjob. Wie bereiten Sie Ihre Schüler auf den Besuch der Messe vor?
Uns ist es sehr wichtig, dass die Schüler in der Lage sind, ein Gespräch mit den anwesenden Unternehmen aufzunehmen und interessante Fragen zu stellen – jenseits der Fragen: „Was verdient man und wie lange geht die Ausbildung?“ Daher schauen wir bereits im Vorfeld mit den Schülern, welche Aussteller da sein werden und trainieren, wie die Schüler mit den Ausstellern ins Gespräch kommen können. Auf diese Weise ergeben sich oft bereits konkrete Perspektiven, wie Praktika oder sogar Ausbildungsverträge.
Wie es aussieht, wird uns das COVID-19- Virus noch eine ganze Weile herausfordern. Machen Sie sich Sorgen um die Berufschancen Ihrer Schüler?
Ich habe natürlich Sorge, dass Betriebe in diesem Jahr kein Praktikum anbieten, weil sie die Hygienevorschriften nicht einhalten können oder kein Konzept erarbeitet haben. Die Ausbildungsplätze sind – glaube ich – weniger gefährdet, da es ja eher einen Mangel an Bewerbern gibt.
Sehen Sie in dieser außergewöhnlichen Zeit auch eine Chance?
Wir sind ja hier an der Goethe-Schule digital gut aufgestellt. Bei uns ist schon eine bunte Kuh, wer sich nicht mit EDV und Medien auskennt. Daher denke ich, dass unsere Schüler ganz gut auf die Zukunft vorbereitet sind. Die große Herausforderung sehe ich im DaZ-Bereich, also Schüler nichtdeutscher Herkunft. Einer meiner Schüler möchte beispielsweise nicht ins Internet gehen, weil er Angst vor Repressalien hat. Wir werden den Schüler hier in der Schule digital ausstatten und versuchen, zu unterstützen. Das ist nicht immer so leicht, da die Hintergründe oft sehr komplex und vielschichtig sind.
Seit mittlerweile 10 Jahren unterstützen Sie die Schüler bei der Suche nach einem passenden Beruf. Was ist den Schülern bei der Suche nach ihrem Traumjob besonders wichtig?
Mir ist aufgefallen, dass sich viele Schüler sehr für neue Medien interessieren. Der klassische Handwerksberuf tritt etwas in den Hintergrund. Geld spielt auch oft eine entscheidende Rolle, auch wenn wir immer versuchen zu vermitteln, dass es in erster Linie wichtig ist: Spaß bei der Arbeit zu haben. Insgesamt erlebe ich die Schüler hier in Kiel als sehr flexibel und offen für neue Orte. Schülern, die noch gar keine Ahnung haben, was sie mal machen wollen, empfehle ich immer ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr – in dieser Zeit kann man überall wichtige Erfahrungen fürs Leben sammeln.
Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien erarbeitet derzeit zusammen mit den Partnern aus der Wirtschaft, den Kammern, der Bundesagentur für Arbeit und den Berufsberatungen ein neues Landeskonzept für berufliche Orientierung. Was sollte in diesem Konzept auf jeden Fall stattfinden?
Wichtig finde ich, die Schüler, die sich selbst falsch einschätzen, aufzufangen: diejenigen, die Abitur machen möchten, dann aber merken, dass die Noten nicht ausreichen und am Ende ohne was dastehen, weil sie sich nicht um einen Ausbildungsplatz gekümmert haben.
Diesen Kindern müssen wir den Berufseinstieg oder eine Ausbildung schmackhafter machen, damit sie sich rechtzeitig um eine Alternative kümmern! An dieser Stelle sehe ich dringenden Handlungsbedarf, es muss eine Alternative zur AVSH (Ausbildungsvorbereitung Schleswig-Holstein) geben.
Was wäre für Sie ein perfekter Beruf?
Ein perfekter Beruf sollte immer auch mit Berufung verbunden sein. Wichtig ist, jeden Tag gerne zur Arbeit zu gehen; das versuche ich meinen Schülern zu vermitteln.
TEXT Sophie Blady
FOTO Christina Kloodt