Die Technische Hochschule Lübeck bildet in zahlreichen Studiengängen Spezialisten und Spezialistinnen für regenerative Energien aus. Campus sprach mit Physik-Professorin Nadine Buczek und Chemie-Professor Mark Elbing über Klimawandel, Studienangebote – und wie Algen helfen können, die Energiewende zu pushen.
Campus: Frau Buczek, Herr Elbing, Sie haben sich entschieden, in die Forschung zu gehen und gemeinsam mit Studierenden nach Lösungen zu suchen, die die Energiewende beschleunigen.
Buczek: Der Klimawandel ist unsere zentrale Herausforderung. Darauf konzentrieren sich unsere Vorlesungen, in denen wir die Auswirkungen des Wandels als wissenschaftliches, technisches und soziales Problem betrachten. Gleichzeitig handeln wir auch lokal und praxisorientiert. Wir betreiben hier im Solarhaus an der Hochschule ein Klima- und Wetterlabor und analysieren die lokalen Klimaveränderungen, darüber diskutieren wir auch.
Und was ist das Ziel dabei?
Wir wollen Anreize schaffen, dass sich die Studierenden mit dem Thema beschäftigen und sowohl die globalen Folgen als auch lokale Handlungsmöglichkeiten nicht aus den Augen verlieren.
Sie haben beide Kinder. Ist das auch Teil Ihres Antriebs?
Elbing: Ja, ganz klar. Kinder verändern die Sicht und erhöhen die Motivation.
Buczek: Unbedingt. Mir hat es nochmals bewusster gemacht, dass ich meinen Beitrag leisten muss, um ihre Zukunft zu sichern.
Die TH Lübeck hat sich drei Handlungsfelder auf die Fahnen geschrieben: Technik, Ressourcen und Lebenswelten. Sie beide eint das naturwissenschaftliche Interesse. Wie sieht Ihr Beitrag konkret aus?
Buczek: Ich vertrete die Fachgebiete Solartechnik, regenerative Energien, Halbleiterphysik und Mikrooptik in der Lehre wie auch in der Forschung.
Sie sind 2018 extra aus Halle an die TH Lübeck gekommen, als neue Professorin im Fachbereich Angewandte Naturwissenschaften. Davor haben Sie am Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik in Halle promoviert. Woran forschen Sie denn aktuell?
Buczek: Hauptsächlich geht es um Solarzellen und sogenannte Thermogeneratoren. Dafür entwickeln wir spezielle Strukturen im Nanometerbereich und bauen Labore zu deren Charakterisierung aus.
Das müssen Sie genauer erklären!
Buczek: Die Basis für die Solarzellen bilden die Halbleitermaterialien. Sie werden mit den richtigen Atomen angereichert und auf der Nanometerskala maßgeschneidert. Wir suchen dabei Lösungen, die die besten Wirkungsgrade liefern, wenig Energie in der Herstellung benötigen und nichttoxisch bleiben. Im Bereich der Solarzellen liegt unser Fokus aktuell auf den algenbasierten Stoffen. Derzeit werden ja hauptsächlich anorganische Materialien wie Silizium eingesetzt, die Herstellung von reinen Silizium ist aber energieintensiv und erzeugt viel Abfall. Mit den algenbasierten Materialien suchen wir nach umweltfreundlichen Lösungen.
Sie sind Physikerin, arbeiten aber auf dem Gebiet der Chemie?
Buczek: Ja, beide Disziplinen sind hier eng verzahnt. Deshalb arbeite ich ja auch mit Mark Elbing zusammen. Er ist der Spezialist für die Chemie.
Elbing: Exakt. Wir denken hier Physik und Chemie zusammen – interdisziplinär.
Herr Elbing, Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in der organischen und makromolekularen Chemie. Sie haben am Institut für Nanotechnologie am Forschungszentrum Karlsruhe, dem heutigen KIT, promoviert, später in der Industrie gearbeitet. Hier in Lübeck bilden Sie im Fachbereich Angewandte Naturwissenschaften Studierende zu Chemikerinnnen und Chemikern aus. Brauchen ihre Studierenden denn auch Physik-Knowhow?
Elbing: Das verlangen wir schon von unseren Studierenden. Sie brauchen grundlegende Kenntnisse in beiden Fächern.
Und woher kommt Ihr Antrieb, sich den Regenerativenergien so intensiv zu widmen?
Auf einer Kanada-Reise jüngst habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie sich die Gletscher zurückziehen. Da war mir einmal mehr klar: Wir brauchen dringend Lösungen.
Finden sich denn genug junge Leute, die das Zeug dazu haben, bei Ihnen beiden zu studieren?
Elbing: Die Spezies ist schon recht rar gesät. Wir involvieren Studierende aus anderen Bereichen und kooperieren mit anderen Hochschulen.
Buczek: Ja, das ist leider nicht ganz leicht. Wir versuchen früh, für die Fächer zu begeistern. Deshalb betreiben wir als Technische Hochschule Lübeck auch den JuniorCampus, wo schon Kleinkinder und Schüler mit Solarzellen und anderen Technologien experimentieren dürfen. Das Gleiche machen wir mit den Studierenden, aber natürlich auf einem ganz anderen Niveau: Wir entwickeln zusammen Lösungen und Prototypen der Solarzellen und Thermogeneratoren. Sie helfen uns auch im Rahmen ihrer Qualifikationsarbeiten, unsere Labore auszubauen und zu betreiben.
Elbing: Viele junge Leute verlieren schon in der Schule die Lust an den naturwissenschaftlichen Fächern. Das ist sehr schade, da Naturwissenschaften Lösungen für viele unserer aktuellen Herausforderungen bieten.
Buczek: Wir brauchen die Experten und Expertinnen so dringend, um die Energiewende zu stemmen. Das Wissen wird in allen möglichen Feldern gebraucht: von der Mobilität, den Speichern über die Wärmethemen bis zur Windkraft.
Tauchen wir tiefer ein. Wie wollen Sie denn den Wirkungsgrad von Solarzellen erhöhen und was ist da machbar?
Buczek: Heutige Zellen liegen bei 22 bis 24 Prozent. Maximal sind tatsächlich 87 Prozent möglich.
Und wie kommen wir da hin?
Wir setzen auf mehrere Schichten aus verschiedenen Materialien. Ziel ist es, so viel Licht wie möglich einzusammeln und das ganze elektromagnetische Spektrum zu nutzen: am besten alle Wellenlängen, also alle Farben, die im Sonnenlicht vorhanden sind.
Und dafür entwickeln Sie spezielle Materialien?
Ja, genau. Unsere Zellen bestehen aus organischen und anorganischen Materialien, die kombinieren wir und designen für jeden Wellenlängenbereich eine bestimmte Bandlücke. Mit speziell texturierten Nanostrukturen wollen wir auch die Quanteneffekte ausnutzen. Die Nanostrukturierung vermindert auch die Menge an Licht, die von der Oberfläche der Solarzelle zurückgespiegelt wird und für die Stromerzeugung verloren geht.
Für Laien wie mich: Quanteneffekte widersprechen grundlegenden physikalischen Prinzipien, richtig?
Exakt, aber! Nur ist die Aussage in dem Sinne wahr, dass die Quanteneffekte unserer alltäglichen Intuition trotzen. Und dennoch ist die Quantentheorie die einzige Sprache, um die Welt der Festkörper und deren Bausteine, Atome, zu beschreiben. Unsere klassische Physik (Newtonsche Mechanik der Makrowelt) ist der Grenzfall der Quantentheorie auf unserer menschlichen Skala. Die Quantentheorie erlaubt uns bessere Materialien mit gewünschten Eigenschaften zu entwickeln.
Und wozu braucht man sie?
Bessere Solarzellen mit niedrigeren CO2-Fußabdruck oder effiziente Thermogeneratoren – im Allgemeinen moderne Werkstoffkunde – das ist das Rückgrat unserer technischen Zivilisation und der Antrieb der Energiewende.
Herr Elbing, wo ist hier die Chemie?
Elbing: Wir setzen bei schon Bekanntem an, forschen weiter und optimieren. In den letzten Jahren sind bereits viele organische Materialien, meist sogenannte konjugierte Polymere, entwickelt worden, die in organischen Solarzellen eingesetzt werden können. Diese Entwicklungen nehmen wir auf und suchen neue Kombinationen mit besseren Eigenschaften. Die Chemie bietet viele Lösungen, da muss man nur clever überlegen und hartnäckig suchen.
Sie sprachen die Algen an. Welche Rolle spielen die?
Elbing: Aus den Algen gewinnen wir einen Feststoff, genauer gesagt einen Farbstoff, den wir dann zielgenau in die Solarzellen einbringen können. So entstehen sogenannte Farbstoffzellen, man nennt sie auch Grätzel-Zellen.
Und was sind das für Algen?
Aktuell gewinnen wir den Farbstoff aus der Spirulina-Alge, die kennt man ja von den Nahrungsergänzungsmitteln. Die Algen stellen den Farbstoff her, um Photosynthese betreiben zu können.
Und woher bekommen Sie die Algen?
Die werden uns von der Firma Sea & Sun Organic aus Trappenkamp zur Verfügung gestellt. Dort werden sie in großen Becken gezüchtet.
Und diese organischen Zellen sind genauso effizient wie die anorganischen?
Elbing: Die Grätzel-Zelle ahmt, wie gesagt, die Photosynthese der Natur nach – aktuell sind die besten Grätzel-Zellen jedoch noch nicht so effizient wie Silizium-basierte Solarzellen, bieten aber andere Vorteile.
Und welche wären das?
Buczek: Farbstoffzellen eignen sich besonders dafür, diffuses Licht einzusammeln – wie wir es hier in Lübeck meist haben. Zudem sind die Materialien umweltfreundlich.
Und um diese Zellen zu entwickeln, braucht es die eingangs genannte Verbindung von Physik und Chemie?
Elbing: Genau. Wir experimentieren mit verschiedenen Materialien und unterschiedlichen Kombinationen. Das ist oft trial and error.
Aber gibt es da nicht Milliarden Möglichkeiten? Also viel zu viele für ein Forscherleben?
Elbing: Eigentlich schon. Das ist immer ein Experiment, aber man lernt ja auch dazu.
Buczek: Deshalb setzen wir auch auf Computer-Simulationen. Durch Berechnungen können wir eingrenzen und uns auf bestimmte Richtungen konzentrieren. Bevor wir im Labor etwas machen, wird vorher theoretisch die Materialzusammensetzung berechnet. Wir schauen, was sich eignet und gehen dann gezielt für die Versuche ins Labor.
Und wie kriegen Sie dann raus, wie erfolgreich das Ganze war?
Buczek: Im Labor bestimmen wir die Eigenschaften der neuen Materialien. Im Fall der Solarzellen ist das die Effizienz, mit der die Materialien das Licht in Strom umwandeln können. Hierfür nutzen wir etwa den sogenannten Solarsimulator: eine Lampe, die ein Licht erzeugt, das der Sonnenstrahlung in der Farbe und Intensität stark ähnelt. Die Thermogeneratoren wiederum erzeugen Strom aus Wärme (z.B. Streuwärme der Rechenzentren, die sonst verloren nach Außen geht). Hier müssen mehrere Parameter bestimmt werden, etwa die Wärmeleitfähigkeit der Stoffe. Dazu nutzen wir die 3-Omega-Methode, die den Parameter auch für sehr dünne Filme im Nanometerbereich bestimmen lässt. Auch die elektrische Leitfähigkeit und die Kapazität Wärme zur elektrischen Spannung umzuwandeln (Seebeck-Koeffizient) ist entscheidend und wir messen sie auch. Wichtig ist zu verstehen, dass die Simulation und Herstellung sich gegenseitig begünstigen. Wir gehen iterativ vor: sehen, was unsere Stoffe leisten können, lernen aus Fehlern, verbessern und schauen noch mal.
Und wer entwickelt diese Geräte?
Alle packen hier an! Unsere Studierenden, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Laboringenieure, auch wir gehen gerne ins Labor, sobald es geht. In der physikalischen Technik wird aber in der Tat viel über Studierende gemacht. Max Brockmann, der seine Bachelor-Arbeit hier schreibt, ist einer davon.
Aber was im Labor funktioniert, muss noch lange nicht in der Welt da draußen funktionieren.
Buczek: Wir testen unsere Prototypen von Solarzellen und Thermogeneratoren selbstverständlich vorher, sowohl im Labor als auch in ersten Pilotstudien mit Firmen. Wir haben etwa für die Langlebigkeits- und Beständigkeitstests unserer algenbasierten Solarzellen Klimaschränke, mit denen wir Temperaturen, Feuchtigkeit etc. variieren können. Weiterhin haben wir Prüfstände für unsere Thermogeneratoren, um diese auf Langlebigkeit und Zuverlässigkeit zu testen. Das Solarhaus ist ein Reallabor, wir können Versuche, vor allem mit den Solarzellen, unter echten Umweltbedingung im Gelände und am Haus durchführen.
Durch die Klima- und Wetterstation des Solarhauses wissen wir auch genau, unter welchen Bedingungen die Prototypen arbeiten mussten.
Wirklich behaupten müssen sich die Produkte aber immer in der echten Welt?
Buczek: Das ist dann aber Sache der Industrie, wir leisten hier tatsächlich grundlegende Arbeit.
Spannend. Was ist denn der Vorteil, der organischen Solarzellen, neben der Umweltfreundlichkeit?
Elbing: Da gibt es eine ganze Reihe an Vorzügen: Die lassen sich viel einfacher recyceln. Die Grundmaterialien sind in Massen überall verfügbar. Man muss nicht die Erde umgraben und gigantische Minen anlegen. Zudem sind organische Zellen flexibel. Sie lassen sich also in Form von Folien auf komplexe Geometrien aufbringen, etwa auf Fassaden oder Fahrzeuge. Sie kennen das von Handys, die sich biegen lassen. Da sind OLEDs drin – also organische Leuchtdioden. Unsere Idee ist es, diese Stoffe sogar in die Kleidung einzuarbeiten.
Im Ernst? Tragen unsere Kinder und Enkel in Zukunft Solar-T-Shirts, die Strom fürs Smartphone erzeugen?
Buczek: Ja, davon gehe ich aus. Wobei es da mehr um die anfangs genannten thermoelektrischen Generatoren geht als um Solarzellen.
Da müssten Sie jetzt bitte nochmals etwas weiter ausholen und erklären, was das für Generatoren sind.
Die sogenannten Thermoelemente wandeln direkt Wärme in Strom um. Dem zugrunde liegt allerdings der thermoelektrische Effekt, also die Umwandlung von Temperaturdifferenzen in eine elektrische Spannung.
Und wo lassen sich solche Elemente nutzen?
Eine Möglichkeit sind tatsächlich Kleidungsstücke, die die Körperwärme nutzen. Der erzeugte Strom könnte zunächst im medizinischen Kontext genutzt werden, etwa für Herzschrittmacher. In Allgemeinen wollen wir überall die Streuwärme in die nützliche elektrische Energie umwandeln: zum Beispiel in Haushalten, Betrieben, Rechenzentren.
Aber solche Elemente liefern bislang nur minimale Ströme, sind Nischenanwendungen.
Buczek: Ja, das stimmt. Aber genau das wollen wir ja ändern. Deshalb wollen Mark Elbing und ich unsere im SolarAlgen-Projekt etablierte Zusammenarbeit auf dieses Gebiet ausdehnen. Die Verbindung von Physik und Chemie verspricht große Potenziale. Vor allem können wir diese Generatoren umweltfreundlich herstellen.
Und deshalb brauchen Sie hier die Chemie-Experten?
Elbing: Genau. Im SolarAlgen-Projekt und auch im Bereich der Thermoelektrik werden wir auch von Studierenden aus dem Bachelorstudiengang Angewandte Chemie unterstützt. Das ist sehr hilfreich, um die maßgeschneiderte Materialien herzustellen, um Wirkungsgrade zu erhöhen und potenzielle Anwendungsfelder zu finden.
Wie viele Leute arbeiten denn hier bei Ihnen beiden im Thermoelektrikbereich?
Buczek: In diesem Forschungsbereich haben wir derzeit fünf Studierende. Die Thermoelektrik ist ja unsere Nische. Das wird sie aber nicht bleiben. Mit dem Thema setzen sich bislang nicht sehr viele Gruppen auseinander – das ist unser Steckenpferd.
Welche Anwendungsfelder sehen Sie denn noch für die Thermoelektrik?
Buczek: Die Nutzung von Abwärme in all ihren Facetten, wie bereits erwähnt. Die Elemente können ähnlich wie organische Solarzellen aufgetragen werden. Sogar drucken und aufmalen ist denkbar.
Wird die Thermoelektrik also die Photovoltaik von morgen?
Elbing: Es wird mit Sicherheit eine Zukunftstechnologie sein, die wir brauchen.
Buczek: Ich bin überzeugt, dass die Thermoelektrik in absehbarer Zukunft aus der Nische gekommen ist – und zum Gelingen der Energiewende beitragen wird. Und ich hoffe sehr, dass wir unseren Beitrag dazu geleistet haben.
Vielen Dank für den spannenden Einblick!
Was die Studierenden der TH Lübeck über ihr Studium zu sagen hatten, erfahrt ihr hier.
TEXT Daniel Hautmann
FOTO Sophie Blady