Ein außergewöhnlicher Besuch in der Uniklinik Schleswig-Holstein in Kiel
Was bedeutet es eigentlich, einen erkrankten Menschen gesund zu pflegen? Die Azubis der generalisierten Pflegeausbildung im UKSH lernen genau diese komplexe Fertigkeit in ihrer dreijährigen Ausbildung zur Pflegefachkraft. Wie gut sie im zweiten Lehrjahr bereits für den Ernstfall gerüstet sind, erfahren sie in dem Projekt „Azubis leiten eine Station”. Das bedeutet, vier Wochen lang alle Aufgaben der examinierten Pflegekräfte zu übernehmen: Dienstpläne schreiben, das Projektmanagement und die pflegerische Teamleitung übernehmen. Wir wollen natürlich wissen, wie sich der Sprung ins kalte Wasser für die Azubis anfühlt und besuchen Amra, Larissa, Lennart und Lotte in der Urologie und auf der Kinderstation.
ME2BE Auf Station: UROLOGIE
Im Schatten der Profis?
„Ich empfinde es als großes Privileg, in diesem Projekt zusammen mit den anderen Azubis aus meinem Kurs die Verantwortung für eine Station übernehmen zu dürfen. Respekt hatte ich schon, aber die Schattenprofis, sprich die examinierten Pflegekräfte, stehen uns jeder Zeit mit Rat und Tat zur Seite, sodass ich mich meiner Aufgabe durchaus gewachsen fühle”, erfahren wir von Amra. Sie ist 22 Jahre alt und absolviert ihre Ausbildung zur Pflegefachfrau im UKSH.
Zusammen mit ihrer Kollegin (Lena) hat sie sich dazu entschieden, für die Dauer des Projektes die Teamleitung für die Urologie zu übernehmen. „Ich wollte meine Chance nutzen, Einblicke in Bereiche zu bekommen, die den Kolleginnen und Kollegen auf der Station in der Regel verborgen bleiben“, erklärt Amra. Zu ihren Aufgaben zählen z.B. die Teilnahme an Teamleitertreffen und die Begleitung der examinierten Teamleitung. Eine Teamleitung ist für die Personalführung und die Organisation von Prozessen zuständig, bis hin zum Abfallmanagement. Zudem ist sie als Ansprechpartnerin für ihre Kollegen für den reibungslosen Ablauf auf der Station verantwortlich. Zusammen mit zwei Kollegen ist Amra am heutigen Tag für die Zimmer eins bis elf zuständig und erledigt die Aufgaben der Teamleitung ganz nach eigenem Ermessen. Spezielle Fragen beantwortet der Schattenprofi, sodass die Patientinnen und Patienten zu jeder Zeit optimal versorgt sind. „Ich habe bereits nach einer Woche sehr viel gelernt und viele wichtige Erfahrungen gesammelt”, so Amra. Nach ihrer Ausbildung plant sie eine Fachweiterbildung im Bereich der Intensivpflege zu absolvieren und könnte sich gut vorstellen, zukünftig im Pflegemanagement zu arbeiten. „Umso länger ich in der Pflege tätig bin, umso mehr gefällt mir der enge Umgang mit den Menschen und ihren Krankheitsbildern. Mir wird immer bewusster, wie wertvoll meine kompetente Hilfe für die Patienten ist, die sich für die Zeit ihres Krankenhausaufenthaltes in unsere Hände begeben. Hinzu kommen die vielen Weiterbildungsmöglichkeiten, die der Beruf für uns Pflegefachkräfte bereithält. Wer etwas Sinnvolles machen möchte, ist hier genau richtig.
Wenn alles nach Plan läuft…
… hat Lennart, 22, seinen Job gut erledigt. Er ist im zweiten Lehrjahr seiner Ausbildung zum Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger und übernimmt während des Projekts die Aufgabe, den Dienstplan zu erstellen. „Ich möchte in dieser Position den Wünschen meiner Kollegen gerecht werden und suche nach Lösungen. Wenn jemand seinen Dienst tauschen möchte, versuche ich Ersatz zu finden. Das Projekt ‚Azubis leiten eine Station’ hat mir gezeigt, wie herausfordernd es tatsächlich ist, die unterschiedlichen Bedürfnisse und Anliegen der Kolleginnen und Kollegen zu koordinieren. Ich kann jetzt viel besser nachvollziehen, wenn die Dienste mal nicht so gut aufeinander abgestimmt sind.” Als zweitältester von fünf Geschwistern verspürte Lennart schon immer den Impuls, Kindern zu helfen. „Das Besondere daran ist für mich der tägliche Umgang mit unseren tapferen kleinen Patienten. Oft schaue ich erst einmal, was sie mitgebracht haben – sei es ein Kuscheltier oder ein besonderes Spielzeug, um Zugang zu den Kindern und ihrer Welt zu bekommen. Dafür bedarf es viel Einfühlungsvermögen. Erst wenn ich ihr Vertrauen gewonnen habe, spreche ich mit den Kindern über ihr Krankheitsbild und den weiteren Verlauf der Behandlung. Je nach Alter und Situation gilt es dabei, das Kind nicht zu überfordern und trotzdem immer bei der Wahrheit zu bleiben – das ist ganz wichtig. Im Laufe der Ausbildung habe ich gelernt, Arbeit und Privatleben voneinander zu trennen. Wenn mich eine Situation auf der Station emotional sehr mitgenommen hat, höre ich einen bestimmten Song und zünde eine Kerze an, um mit dem Erlebten abzuschließen.” Obgleich seine Ausbildung ihm die Arbeit in ganz unterschiedlichen Einrichtungen und Settings ermöglicht, möchte Lennart nach seiner Ausbildung im Krankenhaus tätig sein, da es ihm gefällt, in einem interdisziplinären Team mit Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, dem Sozialdienst, dem Jugendamt und mit Logopäden zusammenzuarbeiten. Seine Zukunft sieht er auf der Intensivstation, wo er schwerkranken Menschen in akuter Not helfen kann. Sein Ziel ist, nach vielen Jahren Berufserfahrung ein Studium zum Pflegepädagogen zu absolvieren und sein Wissen in der Lehre weiterzugeben.
ME2BE auf Station: KINDERSTATION
Einer für alle, alle für einen
Ein guter Teamspirit ist das A und O in der Pflege. Denn Pflegefachkräfte arbeiten meist in einem interdisziplinären Team und müssen auch in Stresssituationen eingespielt und verantwortungsbewusst zusammen agieren. Ein Teamboard im Stationszimmer der Kinderstation hilft den Auszubildenden, Geburtstage und andere relevante Informationen in den Fokus zu rücken. Als Kurssprecherin hat Larissa diese Aufgabe in dem Projekt „Azubis leiten eine Station” gewählt, da ihr der Teamzusammenhalt sehr am Herzen liegt. Im zweiten Lehrjahr hat sie zusammen mit einem Kollegen eine Weihnachtsfeier organisiert und versüßt ihren Kollegen den Arbeitsalltag gerne mit selbst gebackenem Kuchen. Als zweitälteste von sieben Geschwistern liegt ihr die Gesundheit von Kindern sehr am Herzen, auch wenn es nicht immer leicht ist, Berufs- und Privatleben voneinander zu trennen. „Vor allem am Anfang fiel es mir schwer, eine professionelle Grenze zu ziehen; in der Ausbildung habe ich aber gelernt, mit emotionalen Momenten umzugehen. Ich rede viel mit meinem Freund über die Erlebnisse auf der Station. Er studiert Lehramt und hat auch einen engen Bezug zu Kindern. Während meiner Ausbildung durfte ich bereits viele verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen. Derzeit bin ich in der Kinderstation des UKSH und erfreue mich jeden Tag am Umgang mit den kleinen Patienten, die oft so positiv mit ihrer Situation umgehen. Es macht mich glücklich, sie bei ihrer Genesung zu begleiten, und ich freue mich über die Dankbarkeit der Eltern.” Die Arbeit im Krankenhaus führt ihr jeden Tag aufs Neue vor Augen, wie viel ein gesundes Leben tatsächlich wert ist, und sie wünscht sich für all ihre kleinen Patienten ganz viel Kraft und positive Energie. Für das UKSH hat sie sich entschieden, weil sie viele Einblicke auch in seltene Krankheitsbilder bekommen wollte und sich gut vorstellen könnte, in der Zukunft ein Medizinstudium aufzunehmen.
Technik will gelernt sein!
Ob Infusomat oder ein Patientenbett – Eine Krankenhausstation wimmelt nur so von technischen Geräten, die alle bedient werden müssen. Lotte, 21, Auszubildende im 2. Jahr mit dem Schwerpunkt Akutpflege übernimmt für vier Wochen die Aufgaben der Medizinproduktebeauftragten. Sie nimmt an zahlreichen Schulungen teil, um ihre Kollegen anschließend bestmöglich in die Gerätschaften der Kinderstation einzuweisen. „Ich habe mich für diese Aufgabe entschieden, da ich weiß, wie hilfreich all diese Geräte für uns Pflegefachkräfte im täglichen Umgang mit den Patienten sind.” Auch wenn die Arbeit in der Pflege manchmal sehr herausfordernd ist, nimmt sie viele positive Aspekte in ihrer Tätigkeit wahr. Der Schichtdienst bietet beispielsweise die Möglichkeit, auch mal mehrere Tage am Stück frei zu haben, in der Woche auszuschlafen oder etwa Arzt- oder Amtstermine auch am Vormittag wahrzunehmen. „Die Arbeit mit Menschen empfinde ich zudem als sehr bereichernd. Die Pflege hilfebedürftiger Menschen ist unglaublich sinnstiftend und verlangt viel Einfühlungsvermögen im Umgang mit Menschen. In der Schule lernen wir unterschiedliche Kommunikationsmodelle kennen, damit es uns in der Pflegeschule leichter fällt, auf die Bedürfnisse der Patienten einzugehen und zu verstehen, wie sie sich fühlen und warum sie manchmal ungehalten reagieren.” Auch bei dem Thema Verantwortung hilft Lotte und ihren Kollegen der theoretische Background. „Ich fühle mich durch die Schule sehr gut auf die Arbeit mit den Patienten vorbereitet. Hinzu kommt die gewissenhafte Einarbeitung der examinierten Pflegefachkräfte auf der Station. Wenn trotzdem mal etwas nicht nach Plan läuft, bin ich mit mir im Reinen, da ich mich meiner Verantwortung gestellt habe und akzeptieren muss, dass in diesem Beruf leider nicht alles in unserer Hand liegt”, erklärt Lotte. Die Ausbildung lehrt sie auch, im privaten Umfeld feinfühliger auf ihre Mitmenschen einzugehen und sie gegebenenfalls fachlich zu unterstützen. Ihre berufliche Zukunft sieht Lotte in der Gynäkologie oder in der Kardiologie auf der Kinderstation, da sie sowohl die Arbeit mit den Kindern als auch mit den Eltern als sehr bereichernd wahrnimmt.
Mit vielen Eindrücken und den spannenden Einblicken der Azubis im Gepäck verlassen wir am späten Nachmittag die Kinderstation des UKSH und sind uns einig: Pflege muss mehr in der Gesellschaft wahrgenommen und wertgeschätzt werden! Denn was diesen jungen Menschen jeden Tag am Herzen liegt, ist die Gesundheit unserer Kinder, unserer Schwestern, Brüder, Tanten, Onkel, Freunde und Kollegen.
TEXT Sophie Blady
FOTO Sebastian Weimar
Dieser Beitrag ist auch in der HIERGEBLIEBEN-Ausgabe 2022/02 erschienen.