„Aus der Art geschlagen“

„Aus der Art geschlagen“

Eine Erinnerung an Felix Weil, den Gründer des Instituts für Sozialforschung (IfS)

1923 — politische, ökonomische und gesellschaftliche Krisen erschüttern die junge Weimarer Republik: Hitler-Putsch, ‚galoppierende Inflation‘, Not und Elend breiter Bevölkerungsschichten bestimmen den Alltag. In diesem Krisenjahr gründen drei junge Männer Felix Weil, Max Horkheimer und Friedrich Pollock, alle Mitte 20 und Unternehmersöhne, in Frankfurt am Main ein Institut, das weltberühmt werden sollte und 2023 sein 100. Jubiläum feierte.

Felix Weil (1898-1975), dessen 50. Todestag sich am 18. September 2025 jährt, war nicht nur Mitbegründer, sondern maßgeblicher Finanzier des Frankfurter Instituts für Sozialforschung (IfS). Möglich war das allein deshalb, weil er seinen Vater Hermann, einen sehr vermögenden Getreidehändler und Mäzen, überzeugen konnte, Geld in die Neugründung zu investieren.

Die Vorgeschichte der Institutsgründung

Herman Weil entstammte einer jüdischen Familie aus Sinsheim/Württemberg und hatte in Argentinien mehrere Firmen gegründet bzw. übernommen. Innerhalb von zwölf Jahren entstand so eine Weltfirma, die etwa 90 Prozent des argentinischen Getreidehandels kontrollierte. (vgl. Eisenbach, S.183).

1908 siedelte Hermann Weil nach Frankfurt über und entfaltete ein  ausgedehntes mäzenatisches Wirken und eine rege Beratertätigkeit. „Zunächst war er bei Kriegsausbruch 1914 Ratgeber für das Kieler Institut für Weltwirtschaft, sodann für den Admiralstab, um 1917 bis 1918 Berichterstatter für Kaiser Wilhelm II. zu werden, der ihn und seinen Sohn Felix 1917 zu einer Audienz empfing.“ (Eisenbach,S.182)

Hermann Weil hatte seinen Sohn 1908 aus Argentinien nach Frankfurt geschickt, damit dieser am Goethe-Gymnasium eine humanistische Ausbildung erhielt. Nach seinem Abitur 1916 immatrikulierte sich Felix Weil an der Frankfurter Universität; als Kriegsfreiwilliger wurde er jedoch abgelehnt, wohl wegen seiner argentinischen Staatsbürgerschaft. Allerdings gelang es ihm, 1917 als Büro-Offizier auf dem Heeresamt tätig zu sein. (vgl. Eisenbach, S.184)

Schlüsselerlebnis Novemberrevolution

Die Novemberrevolution 1918, die zum Sturz der Monarchie führte, wurde für Felix Weil zu einem politischen Schlüsselerlebnis und ein Abschied von der deutsch-nationalen Haltung seines Vaters, die er während des Krieges noch geteilt hatte. In Frankfurt schloss er sich dem Arbeiter- und Soldatenrat an. In der Nacht vom 11. zum 12. November 1918 las er das Erfurter Programm der SPD von 1891, das, nach eigener Aussage, entscheidend sein späteres Leben prägen sollte:

„Am Morgen war ich mir darüber klar geworden, daß ich aus der Art geschlagen war. Ich, nur 20 Jahre alt, war zwar der Haupterbe eines sehr reichen kranken Mannes und als solcher auch Mitinhaber einer Firma mit Dutzenden Filialen in der Welt, die für ein paar Tausend von Familien Arbeitgeber war, aber ich war, ja, ich konnte es kaum glauben, aber ich hatte es gerade entdeckt, ich war ein Sozialist … Keine Frage: meine Gefühle waren auf Seiten des Sozialismus, und schon seit langem. Ich war mir nur dessen nicht bewusst gewesen!“ (zit. nach Eisenbach, S. 185).

Turbulente Studienzeit in Tübingen

Weil verließ Frankfurt 1919, um in Tübingen bei dem Nationalökonomen und Kathedersozialisten Robert Wilbrandt über das Thema Sozialisierung zu promovieren. In dieser Zeit war er auch führendes Mitglied der ‚Sozialistischen Studentengruppe Tübingen‘ und enger Freund der Stuttgarter Kommunistin und Frauenrechtlerin Klara Zetkin. In seinem Tübinger Zimmer versteckte  Weil nach eigenen Angaben seine Freundin vor einem  befürchteten Attentatsversuch. Er selbst wurde aufgrund seiner politischen Aktivität kurzzeitig inhaftiert und als Ausländer nicht nur von der Hochschule, sondern auch aus Württemberg verwiesen.  Der Rektor der Universität argumentierte: „[…] Auch stud. rer. pol. Weil (argentinischer Staatsangehöriger aus Frankfurt a. M.) ist in diesem Semester nicht mehr als Studierender zugelassen, hält sich aber trotzdem immer noch auf. Es ist Sache der Polizei, diese Persönlichkeiten, die in keinem Verhältnis zur Universität stehen, so rasch als möglich zu entfernen und damit ihre gefährliche agitatorische Kraft für die Studierenden unschädlich zu machen.“ (zit. nach Eisenbach, S. 202).

Notgedrungen musste Weil seine Promotionspläne in Tübingen aufgeben. In Frankfurt konnte er jedoch 1920 mit der Arbeit über den Begriff der Sozialisierung bei Adolph Weber promovieren.

Von der Institutsgründung zur Emigration

Zwei Jahre später organisierte Felix Weil die Erste Marxistische Arbeitswoche in Thüringen; eine zweite folgte nicht, weil die Idee der Institutsgründung favorisiert wurde. Das Institut sollte die Geschichte der Arbeiterbewegung, den Marxismus sowie die Ursprünge des Antisemitismus erforschen. (vgl. Eisenbach, S. 211)

Nach schwierigen Verhandlungen konnte das Institut für Sozialforschung 1924 schließlich eingeweiht werden. Bereits 1930/31 war den Institutsmitgliedern allerdings klar, was der Aufstieg der Nationalsozialisten bedeuten würde. Das Institutsvermögen wurde in die Schweiz verlagert. Das Institut unter der Leitung Max Horkheimer, dem es gelang, namhafte Mitarbeiter, wie Walter Benjamin, Theodor W. Adorno, Erich Fromm, Herbert Marcuse, Karl August Wittfogel, an das Institut zu binden, emigrierte noch vor der sogenannten ‚Machtergreifung‘ durch Hitler in die Vereinigten Staaten.

Felix Weil wollte 1931 nur geschäftlich für kurze Zeit nach Buenos Aires reisen, sah Deutschland dann allerdings erst 1951 anlässlich der Wiedereröffnung des Instituts wieder. In Argentinien war er zunächst mit der Umstrukturierung des Unternehmens im Zuge des Weltwirtschaftskrise beschäftigt, arbeitete aber auch für die argentinische Regierung, indem er u.a. eine neue Einkommensteuergesetzgebung in die Wege leitete. Außerdem lehrte er in Buenos Aires am Colegio Libre de Studios Superios über Steuerfragen. (vgl. Gruber, S. 294, 302, 308)

Er förderte aber auch Bildungsprojekte und war an der Gründung der Pestalozzi-Schule maßgeblich beteiligt. Sie verstand sich als „antifaschistische Gegengründung“ zum nationalsozialistisch geprägten Auslandsschulwesen. (vgl. Gruber, S. 325) Ein „hübscher Dolch im Fett des Faschismus“ sei sie gewesen, so der damalige Schulleiter.

Regelmäßig publizierte  Felix Weil Aufsätze zu unterschiedlichen Themen im Argentinischen Tagblatt. Sein Hauptwerk The Argentine Riddle erschien 1944, in dem er die ökonomische und politische Situation in Argentinien analysiert.

1935 siedelte Weil nach New York über zu seinen Institutsfreunden. Zehn Jahre später nahm er die amerikanische Staatsbürgerschaft an und engagierte sich später für die Demokraten in der Kommunalverwaltung in Kalifornien. (vgl. Eisenbach, S. 215) In den USA galt er als ein „hoch anerkannter Experte für Argentinien“. (Gruber, S. 439)

Antisemitismusstudien des IfS

Ein Jahr nach der Progromnacht im November 1938, in der Synagogen und jüdische Geschäfte systematisch geplündert und niedergebrannt wurden, leitete Max Horkheimer mit seinem Aufsatz Europa und die Juden jene Forschungen zum Antisemitismus ein, die zusammen mit den Studien Antisemitism among American Labor (1943) sowie den Studies in Prejudies (1949/50) einen wesentlichen Schwerpunkt der Forschungsarbeit des Frankfurter Instituts bilden sollten. (Gruber, S. 372f.).

1959 erschien in den Frankfurter Beiträgen zur Soziologie die Schrift von Paul W. Massing Vorgeschichte des politischen Antisemitismus. Felix Weil hatte die Arbeit übersetzt und an der Vorbereitung der Publikation mitgewirkt. Im Vorwort würdigen Horkheimer und Adorno Weil ausdrücklich: „Ganz besonderer Dank gebührt Dr. Felix J. Weil, dem treuen Freund des Instituts, dem es sein Dasein verdankt.“

Rückkehr nach Deutschland

Felix Weil antwortete 1969 auf die Frage, weshalb er noch einmal nach Deutschland zurückkehre: „Ich bin in Frankfurt aufgewachsen und groß geworden. In Frankfurt starben meine Eltern. Meine Frau ist Frankfurterin. Ich will hier mein Buch mit vielen autobiographischen Zügen schreiben, vielleicht auch am Institut für Sozialforschung lesen, wenn man mich dazu auffordert. Und ich werde Kurse für Politik und Sozialwissenschaft für amerikanische Soldaten und Zivilangehörige an der University of Maryland halten, deren Sitz in Heidelberg ist.“ (Gruber, 407)

Weils tatsächlicher Einsatzort, so Gruber, sei jedoch das Education Center der Rammstein Air Base gewesen. Der Tätigkeit im Bereich der Erwachsenenbildung habe Weil einen hohen Stellenwert beigemessen. (vgl. Gruber, S. 409)

Obwohl Felix Weil meist im Hintergrund wirkte, ist seine Bedeutung für das Institut für Sozialforschung nicht hoch genug einzuschätzen. Erst 2022 erschien von Hans-Peter Gruber die Biographie Felix Weils unter dem Titel Aus der Art geschlagen, in der die Rolle und Bedeutung Weils erstmals umfassend gewürdigt wird. Gruber berichtet darin auch von Differenzen zwischen Felix Weil und dem Leiter des Instituts Max Horkheimer Ende der Anfang der 70er Jahre.

Felix Weil vertrat die Position eines undogmatischen Marxismus und die Tatsache, dass ein großer Teil der Institutsmitglieder jüdischer Herkunft war, spielte für ihn im Grunde keine Rolle. (vgl. Gruber, S. 420f.)

„Wer den totalitären Antisemitismus begreifen will…“

Weils 50. Todestag ist Anlass und Grund, seiner Person und seinem Engagement zu gedenken. Zumal in einem historischen Augenblick, in dem nicht nur in Deutschland, sondern weltweit Judenhass wieder gesellschaftsfähig geworden ist.

Im Vorwort zu Massings Schrift von Horkheimer und Adorno heißt es: „Wer den totalitären Antisemitismus begreifen will, sollte sich nicht dazu verleiten lassen, dessen Erklärung einer gleichsam naturgegebenen Notwendigkeit gleichzustellen. Wohl sieht es retrospektiv alles so aus, als hätte es so kommen müssen und nicht anders sein können. […] Aber indem man auf solche Universalität insistiert und die Fatalität des Geschehenen im Begriff nochmals wiederholt, macht man sie sich in gewissem Sinn selbst zu eigen. Den Spuren des heraufdämmernden Verhängnisses in der deutschen Vergangenheit ist allerorten auch deren Gegenteil gesellt, und die Weisheit, es post facto zu dekretieren, was von vornherein das Stärkere gewesen sei, macht es sich allzu leicht, indem sie das Wirkliche als das allein Mögliche unterstellt.“ (Massing, S. VII)

Bereits Anfang der 50er Jahre hatte das IfS mit dem sogenannten Gruppenexperiment eine aufwendige empirische Studie über das politische Bewusstsein der Westdeutschen durchgeführt. Inwieweit lauerten antisemitische Einstellungen in der noch jungen Demokratie? Die Studienergebnisse blieben jedoch weitgehend unveröffentlicht, da die Befürchtung bestand, eine Veröffentlichung der Resultate könnte zu politischen Erschütterungen führen. Nach über siebzig Jahren sollen diese Forschungsergebnisse nun doch vollständig erschlossen und veröffentlicht werden. (vgl. Barth)

Im Geiste der Gründungsidee hat das Frankfurter Institut für Sozialforschung also weiterhin und darüber hinaus Aufklärungsarbeit zu leisten.

 

LITERATUR

  • Helmuth Robert Eisenbach: Millionär, Agitator und Doktorand. Die Tübinger Studienzeit des Felix Weil (1919), in: Volker Schäfer (Hg.): Bausteine zur Tübinger Universitätsgeschichte Folge 3, Tübingen 1987, S. 179-216
  • Hans-Peter Gruber: „Aus der Art geschlagen“. Eine politische Biographie von Felix Weil (1898-1975), Frankfurt a. M.  New York 2022
  • Willem van Reijen, Gunzelin Schmid Noerr (Hg.): Grand Hotel Abgrund. Eine Fotobiographie der Frankfurter Schule, Hamburg 1988
  • Jörg Später: Adornos Erben, Berlin 2024
  • Rolf Wiggershaus: Die Frankfurter Schule, München Wien 1986
  • Pia Barth: Die postnazistische Gesellschaft, Goethe-Universität Frankfurt am Main, 19.08.2025,  https://idw-online.de/de/news856888

 

TEXT Erhard Mich

FOTO Archiv