Eine der unscheinbarsten Gemeinden im Norden wird bald eine der smartesten – unterwegs in Süderbrarup, dem nördlichsten Modellprojekt „Smart City“
Wie in vielen ländlichen Kommunen ist auch in der Gemeinde Süderbrarup der demografische Wandel stark ausgeprägt, und viele junge und gut ausgebildete Menschen wandern nach ihrem Schulabschluss in die Städte aus. Das soll sich jetzt aber ändern.
Zwischen Kappeln und Schleswig verläuft eine sich windende Landstraße. Sie zieht sich entlang an aufgebrochenen Äckern, alten Bauernhöfen und führt mitten durch das Ortszentrum von Süderbrarup. Die kleine Gemeinde wirkt unscheinbar, an der Hauptstraße ein paar Bäckereien, ein Hotel, ein Bioladen – der trubeligste Platz ist der Bahnhof. Stündlich sammeln hier die Züge Reisende Richtung Kiel oder Flensburg ein. Trotzdem – oder vielleicht gerade weil Süderbrarup so bescheiden wirkt, hat man hier Großes vor.
Ein innovatives Konzept soll Süderbrarup völlig neu gestalten
Besonders für junge Leute will Süderbrarup attraktiver werden. Doch wie kann ein „Kaff“, wie die Jugendlichen am Bahnhof ihre Heimat beschreiben, in eine digitale, innovative Gemeinde verwandelt werden? Die Antwort darauf soll „Smart City“ heißen. Ein Konzept, was allein 6.5 Millionen Euro in der Umsetzung kostet, wie Malin Harrsen, Projektleiterin im Team Smart City des Amtes Süderbrarup, berichtet. Seit Ende 2019 wird das Amt als Modellprojekt gefördert. Das Projekt läuft über sieben Jahre.
Aber wofür steht „Smart City“ überhaupt? Das Internet ist voll von unterschiedlichsten Beschreibungen. Zum Glück gibt es Wikipedia. Hier wird die Bezeichnung Smart City als „Sammelbegriff für gesamtheitliche Entwicklungskonzepte, die darauf abzielen, Städte effizienter, technologisch fortschrittlicher, grüner und sozial inklusiver zu gestalten“, beschrieben. Im speziellen Fall von Süderbrarup trifft die Bezeichnung „Stadt“ nicht ganz zu – besteht das Amt Süderbrarup doch aus 13 Gemeinden mit rund 11.000 Einwohnern. Diese verteilen sich auf der weiten Fläche von 146 km². Das sind sogar 30 km² mehr, als das ganze Stadtgebiet Kiel umfasst.
Durch diese ländliche Struktur hat das Amt Süderbrarup andere Anforderungen an eine Smart City als Städte. Viele Ressourcen, die in einer Stadt knapp sind, wie Grünflächen, Parks, frische Luft und Spazierwege für Fußgänger und Radler gibt es hier mehr als genug. An anderen Dingen fehlt es der „Smart Region“ aber im Vergleich zur Stadt. Attraktive Angebote für junge Menschen stehen da ganz oben auf der Liste.
Malin Harrsen setzt auf den smarten Dorfshuttle.
Der smarte Rufbus bringt jeden ans Ziel
Malin Harrsen hat diese Herausforderung klar im Blick. Von all den Projekten, die sich in der Umsetzung befinden, ist das Thema Mobilität für sie besonders wichtig. „Wir haben uns gefragt, wie kann man sich hier fortbewegen, damit man nicht völlig aufgeschmissen ist, wenn man kein eigenes Auto hat?“ Eine Antwort darauf hat sie schon: Als eines der ersten ausgeführten Projekte des Smart City Konzeptes gibt es seit Dezember vergangenen Jahres das smarte Dorfshuttle. Ein flexibler Rufbus, der über eine App oder übers Telefon gebucht werden kann und im gesamten Amt Süderbrarup seine Runden dreht. Nach Bedarf holt er seine Fahrgäste ab, und wenn während der Tour das Fahrpersonal eine Nachricht bekommt, dass zur gleichen Zeit andere Personen auf der Strecke mitfahren wollen, werden die direkt mit eingesammelt. Im Kontrast zur Einzelfahrt schont das auch die Umwelt: Smart!
Auch für den Leiter des Jugendzentrums in Süderbrarup, Patrick Gicquel, ist der Shuttle-Bus schon jetzt ein riesiger Gewinn für die junge Generation: „Viele Jugendliche, die hier zu uns ins Jugendzentrum kommen, nutzen das Angebot ganz aktiv“, sagt er. „Früher hätten sie auf die Busse warten müssen, jetzt können sie selbst entscheiden, wann sie wohin möchten. Das ist ein riesiger Freiheitsschub.“ Begeistert erzählt Gicquel, dass er sich auch in Zukunft vorstellen kann, dass das Shuttle auch noch später als 19 Uhr Fahrgäste transportiert. „Dann könnten wir auch das Jugendzentrum länger öffnen, die Jugendlichen hätten auch abends mal die Möglichkeit, sich hier zu treffen.“ Das Potential und der Bedarf sind groß, so viel ist klar.
Der smarte Shuttle-Bus ist eine echte Bereicherung für die Jugend von Süderbrarup.
Ein Digitalzentrum, in dem sich jeder kreativ austoben kann
Aber das smarte Konzept habe für die Region noch mehr in petto, erzählt Projektleitung Harrsen. „Wir wollen nicht nur den Wohnort so interessant machen, dass die jungen Leute nach der Schule hierbleiben, sondern auch was die Kreativ- und Digitalszene angeht, Grundlagen schaffen“, sagt sie. Wer später was mit IT machen wolle, müsse nicht mehr unbedingt in die Uni-Städte ziehen, fügt sie hinzu. Harrsen spricht vom modernen Digitalzentrum, auch Makerspace oder Smart City Lab genannt, was in Zukunft Bastler, Tüftler und zukünftige Firmengründerinnen anziehen soll. Momentan ist das Zentrum noch im Bau. Die top ausgestattete Gemeinschaftswerkstatt mit viel digitaler Technik und Werkzeugen für Prototypenbau, Handwerk und Programmierarbeiten soll alle möglichen kreativen Ideen befördern. Alle, die sich an Technik und IT probieren möchten, können Lasercutting, 3D-Druck, 3D-Screening, Löten und vieles mehr testen.
„Wir erhoffen uns, dass sich hier Gruppen zusammenfinden, die nach der Schule oder im Feierabend zusammenkommen und an ihren Ideen arbeiten“, so Harrsen. „Im besten Falle entsteht die Situation, dass jemand denkt, jetzt habe ich so eine gute Idee und bin so super vernetzt durch das Mentorennetzwerk, jetzt mache ich mich auf und gründe ein Start-up!“ Die Projektleiterin ist davon überzeugt, dass auch in Süderbrarup viel Potenzial für eine „Maker-Szene“ ist. „Das wäre natürlich das Beste, wenn die jungen Leute sich hier ihr eigenes Berufsfeld erschaffen können in der Region.“
Die smarte App für alle
Aber der Shuttle-Bus und das Digitallab sind natürlich nicht alles, was für die smarte Region Süderbrarup umgesetzt wird. Um wirklich digital auf der Höhe und maximal vernetzt zu sein, braucht es natürlich auch eine App und die soll es ziemlich drauf haben. „Allein, was die digitale Infrastruktur angeht, wollen wir hier viel bewegen“, sagt Harrsen. Mit der Bürger-App, die gerade programmiert wird, sollen Angebote für die Bürger und Bürgerinnen gebündelt werden. Damit soll nicht nur das nächste Café gefunden werden, die Öffnungszeiten des Jugendzentrums, sondern auch die Regenwahrscheinlichkeit in den nächsten Stunden. Die App soll aber nicht nur den Süderbrarupern in allen Lebensbereichen aushelfen, sondern auch die Wirtschaft stärken. „Ein Fokus der App liegt auf dem digitalen Marktplatz für Firmen und Einzelhändler, die sich somit auch online präsentieren können“, erklärt Harrsen. Darüber hinaus werde es eine Vernetzungsmöglichkeit für die Bürger, aber auch Infos zu allen anderen Belangen des Lebens geben. Ein wichtiger Teil dessen, so Harrsen, sind die sogenannten „Points of interests“, also zum Beispiel Sehenswürdigkeiten, Spielplätze, öffentliche Toiletten – aber auch Wetterdaten.
„Die Daten hinter den Informationen – und hier kommt die Smart City Lösung ins Spiel – werden oftmals aus Sensordaten gespeist“, sagt Harrsen. Damit möchte das Amt einen Vorteil Google gegenüber haben. „Unser Sammelsurium an Daten kommt direkt aus der Region und ist somit viel zuverlässiger als die Informationen im Netz“, ergänzt sie. „Jeder hat schon einmal erlebt, dass er an einen Ort kam, der auf Google noch falsch beschriftet war oder der gar nicht mehr existierte. Das wird es bei uns nicht geben“, verspricht die Projektleiterin.
Die Pläne machen deutlich, Süderbrarup ist schon auf gutem Weg, kein „Kaff“ mehr zu sein. In der perfekten smarten Zukunftsversion von Süderarup also, die gar nicht mehr so weit weg scheint, informiert man sich per App darüber, ob es am Nachmittag im Zentrum regnen wird. Ob es also mehr Sinn macht, sich später auf einen Spaziergang mit Freunden zu treffen – oder besser im Café. Daraufhin bucht man sich entspannt über die Shuttle-App eine Tour ins Digital-Lab, nimmt am Programmierkurs teil und geht danach zum Bäcker auf ein Franzbrötchen und Kaffee – das Café hat nämlich heute Ruhetag, sagt die App.
TEXT Stella Kennedy
FOTO Amt Süderbrarup