In der Reihe ME2BE-Reihe „Nachgefragt“ können Schülerinnen und Schüler, Azubis und Studierende verantwortliche Politikerinnen und Politiker aus Schleswig-Holstein und Hamburg direkt befragen. Elisabeth Witten (27) studiert Deutsch und Kunstgeschichte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Ihre Fragen zum Thema „Berufsorientierung 4.0“ richtet sie an die schleswigholsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU).
1) „Hallo, Frau Ministerin Prien. Mit der Arbeitswelt müssen sich alle Schülerinnen und Schüler irgendwann beschäftigen. Spätestens mit dem Schulpraktikum kommt das Thema Berufsorientierung auf den Tisch. Welche beruflichen Erfahrungen haben Sie während Ihrer Schulzeit sammeln können?
Mein erstes Praktikum habe ich als 16-Jährige als Garderobiere im Landestheater Rheinland-Pfalz absolviert. Es lief das Musical „My fair Lady“. Meine Liebe zum Theater hat sicherlich seine Wurzeln in dieser Zeit.
2) „Der Fachkräftemangel fordert viele Branchen heraus. Laut Schleswig-Holsteinischem Schulgesetz gehört es zum Auftrag der Schule, die jungen Menschen zur Teilnahme am Arbeitsleben und zur Aufnahme einer hierfür erforderlichen Berufsausbildung zu befähigen’. Müsste es dafür in Schleswig-Holstein nicht das Schulfach ‚Berufsorientierung’ an Gymnasien und Gemeinschaftsschulen geben?“
Berufliche Orientierung findet auf vielfältige Weise statt und bei Weitem nicht nur in einer Unterrichtsstunde. Gerade erarbeiten wir gemeinsam mit den Partnern aus der Wirtschaft, den Kammern, der Bundesagentur und den Berufsberatungen vor Ort das neue Landeskonzept für berufliche Orientierung, das bis zum Sommer 2021 vorliegen soll. Aber schon jetzt gibt es an den Gemeinschaftsschulen und Förderzentren die berufliche Orientierung ab dem fünften Jahrgang und an den Gymnasien ab dem siebten Jahrgang. Außerdem werden unter anderem Potenzialanalysen erstellt, und speziell geschulte Coaching-Fachkräfte unterstützen die Schülerinnen und Schüler. In der geplanten neuen Oberstufe erhält die Berufsorientierung einen verbindlichen Platz in der Einführungsphase. Dafür gibt es 18 zusätzliche Lehrerstellen. Und zum Schuljahr 2020/21 führen wir eine flächendeckende Potenzialanalyse ein – zunächst an den Gemeinschaftsschulen und dann auch an den Förderzentren und Gymnasien.
3) „Immer mehr Schülerinnen und Schüler entscheiden sich für das Abitur und gegen eine duale Berufsausbildung. Wollen Sie diesem Trend bildungspolitisch entgegenwirken und wenn ja, wie?“
Seit meinem Amtsantritt als Bildungsministerin werbe ich intensiv für die dualen Ausbildungsberufe. Einerseits, weil wir dem drohenden Fachkräftemangel begegnen müssen, andererseits aber auch, weil ich davon überzeugt bin, dass sich in der dualen Ausbildung auch für Abiturientinnen und Abiturienten spannende und zukunftssichere Perspektiven bieten. Auf die müssen wir verstärkt aufmerksam machen und dabei sind zum Beispiel die Betriebspraktika in den Jahrgangsstufen 8 und 9 sehr hilfreich.
4) „Unsere Arbeitswelt wandelt sich rasant. Durch die digitale Transformation werden Berufsbilder verschwinden, neue entstehen. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Berufsorientierungsprogramme der Schulen?“
In der Tat ändern sich Berufsbilder und Studiengänge immer schneller und es gibt mittlerweile über 20.000 Studiengänge und allein 326 Ausbildungsberufe. Das ist eine große Herausforderung für die jungen Menschen, aber auch für die sie begleitenden Lehrkräfte und die Eltern. Umso wichtiger ist es, dass die Schulen mit kompetenten Partnern zusammenarbeiten. Ein gutes Beispiel dafür ist das neue Unterrichtsmaterial zum Berufs- und Studienwahlprozess, dass das wir in Zusammenarbeit der Bundesagentur und der Stiftung der Deutschen Wirtschaft erarbeitet haben und das den Schülerinnen und Schülern der gymnasialen Oberstufen unter dem Titel „Berufliche Orientierung wirksam begleiten“ seit September dieses Jahres zur Verfügung steht.
5) „Allgemeinbildende und berufliche Schulen, duale Ausbildung und duale Studiengänge, Fachhochschulen und Universitäten – sind unsere Bildungswege und -einrichtungen noch zeitgemäß oder brauchen wir eine höhere Durchlässigkeit für Quersteinsteiger?“
Unser Schulsystem ist in den vergangenen Jahren stetig den sich ändernden Erfordernissen angepasst worden. Es ist heute so durchlässig wie noch nie und eröffnet in sehr vielen Bereichen – und bei weitem nicht nur über die akademische Ausbildung – gute berufliche Perspektiven und Karrieremöglichkeiten. Und da kommt wieder die Berufsorientierung ins Spiel. Sie kann den Jugendlichen die unterschiedlichen Bildungswege erläutern und mit ihnen gemeinsam einen Weg finden, der ihren persönlichen Potenzialen und Begabungen gerecht wird.
TEXT Christian Dorbandt
FOTO Frank Peter