Extra deswegen nach Neuseeland zu fliegen, ist wahrscheinlich etwas übertrieben, aber wenn man schon mal da ist, z.B. im Rahmen eines Working-Holiday-Visa, ist diese Erfahrung dringend zu empfehlen.
Ein wenig Vorgeschichte im Zeitraffer: Nach abgeschlossenem Master-Studium und einigen Jahren als Projektleiter in unterschiedlichen Firmen, zog es mich Anfang Oktober 2012 samt Freundin, die ebenfalls nach über fünf Jahren Studium mal raus und unter Menschen wollte, in das gefühlt am weitesten von zu Hause entfernte Land dieser schönen Erde – Neuseeland. 9 Monate dem Alltag entfliehen, im Bus leben, Natur und Menschen erfahren und so viel wie möglich Wellenreiten und Kitesurfen – so der Plan. Dass für diesen Lebensstandard ein gewisses „Kleingeld“ notwendig ist, versteht sich von selbst. Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen? Zwei Jahre Planung und unzählige Nebenjobs machten den Plan möglich. Der Großteil des erwirtschafteten Geldes ging allerdings schon für den Campervan drauf, und so musste bald der erste Job her.
Nach 5 Monaten in unserer Wahlheimat auf Zeit und ersten Joberfahrungen in Bar und Sushi-Restaurant ging unsere Reisekasse im Februar 2013 zum zweiten Mal in die Knie und schrie nach Nachschub. Zu dieser Zeit lebten wir zusammen mit Freunden aus unserem „Heimathafen“ Kiel in der Nelson-Region, im Norden der Südinsel. Diese Region ist eine der größten Anbaugebiete für Äpfel in ganz Neuseeland. Ein Großteil der hier geernteten Äpfel ist für den deutschen Markt bestimmt.
Eigentlich hatten wir uns im Voraus geschworen, keine Standard-Backpackerjobs wie „Fruitpicking“ anzunehmen, doch wenn die Kasse drückt und das schnelle Geld winkt, kommt man schnell in Versuchung. Ausschlaggebend für unser Vorsprechen auf den Orchards (Fruchthöfen) der Nelson-Region waren dann unsere dortigen Freunde. Beide waren seit einigen Wochen als Fruit-Picker tätig und verdienten damit gutes Geld. So inspirierten sie uns, den auf den ersten Blick so einfachen Job auszuprobieren.
Es folgten Tage der Bewerbung, des Vorsprechens und der Niederschläge. Neuseeland, als von Touristen und Backpackern überschwemmtes Land, ist auf „Ausländer“ als Erntehelfer angewiesen und so etwas spricht sich rum. Das war auch der Grund dafür, dass nahezu alle freien Stellen bereits seit Wochen besetzt waren. So blöd es klingt, begann für uns nun das Hoffen, dass irgendwelche Picker abspringen oder der Arbeit nicht gewachsen sein würden. Nach etwa einer Woche ergab sich für uns die erste Chance.
Erste Orchard des Tages und erster Job im Apfelgeschäft. Beginn: Nächster Tag 8 Uhr (kein Problem für uns, da bei einem Leben im Bus der Tagesrythmus im Normalfall nach der Sonne ausgerichtet wird und die geht in Neuseeland schnell und früh unter). Nach den üblichen 12 Stunden Schlaf pro Nacht hieß es für uns endlich: Auf die Leitern… fertig… los! – Denkste. Unser erster Arbeitstag dauerte ungefähr 10 Minuten, in denen unser „Supervisor“ eigentlich nur sehen wollte, ob wir auch tatsächlich erscheinen (uns wurde zum ersten Mal klar, dass es vielleicht einen Grund gibt, warum diese Orchard freie Stellen hatte).
Am nächsten Tag ging es dann tatsächlich los. 8:30 Arbeitsbeginn und dann doch nur warten – unbezahltes Warten, warten auf die Sonne. An Stelle von Äpfeln waren an diesem Tag nämlich Birnen dran; und
diese Birnensorte war so empfindlich, dass die Schale im feuchten Zustand sehr schnell kaputt geht. Weitere 1,5 Stunden später sollte es dann doch losgehen und was von diesem Tag an für genau eine Woche folgte, war nicht schön: strengste Qualitätskontrollen mit angedrohten Lohnkürzungen, unübersichtliche Bäume, kleine Früchte und Arbeiten auch im strömenden Regen – nicht unbedingt, was wir uns unter dieser Arbeit vorgestellt hatten. Der Plan: kündigen und weitersuchen. Obwohl wir nun wieder am Anfang unserer Suche standen, konnten wir jetzt mit der für einige Jobs erforderlichen Erfahrung aufwarten (dass diese auf nur eine Woche zurückzuführen war, musste ja nicht jeder wissen).
Durch Gespräche auf unserem Camp erfuhren wir von einer Orchard circa 25 Minuten Autofahrt von uns entfernt. Arbeitsklima und Lohn sollten hier stimmen und auch alles sehr familiär sein – also ab dafür. Hoddys Orchard, so der Name unseres potenziellen neuen Arbeitsgebers, ist eine der größten Orchards Neuseelands und ein reines Familienunternehmen. Dort angekommen fanden wir schon eine kleine „Bewerberschlange“ vor, welche unsere Hoffnungen nicht gerade steigen ließ. Schnell noch den Treckerfahrer gegrüßt und zielstrebig ab ins Büro. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten war, dass wir nicht irgendeinen Treckerfahrer gegrüßt haben, sondern den Chef der gesamten Orchard höchstpersönlich. Damit hatten wir schon gleich zu Anfang einen Stein im Brett und 10 Minuten später einen Job (ich liebe diese Neuseeländer).
Am darauf folgenden Montag ging es dann wieder los. 7:30 antreten zum Farbblindheitstest (ja ihr lest richtig), danach kurzes Einführungsvideo und dann tatsächlich ab auf die Leitern. 8 Stunden später hatten wir unseren ersten Tag bei Hoddys beendet, waren fix und fertig, aber überglücklich. Endlich gute Arbeitsbedingungen für gutes Geld.
In den kommenden Tagen und Wochen lernten wir unsere Gang (unser Pflückerteam, bestehend aus circa 12 Personen, davon viele Kiwis, also Neuseeländer) besser kennen. Ein Franzose, zwei Bulgaren, fünf Kiwis und zwei Thais gehörten zu uns. Eine sehr illustre Runde – besonders die Kiwis. Der Spaß an der Arbeit war vorprogrammiert.
Aber nicht nur der Spaß stimmte – wir wurden auch schneller und so stieg auch der Tageslohn an. Bezahlt wird man übrigens pro „Bin“. Ein Bin ist eine Kiste, in die etwa 300 kg Äpfel passen. Pro Bin gibt es zwischen $27 und $40, je nach Sorte. Um den Mindestlohn ($13,25 pro Stunde) zu „erpflücken“, müssen somit zwischen 3 und 4 Bins pro Tag geschafft werden – je mehr Bins, desto höher der Tageslohn.
6 Wochen pflückten wir auf dieser Orchard, 6 Tage die Woche. Sonntags war frei. Die Saison endete für uns Anfang Mai mit einem großen BBQ und Freibier im Garten des Chefs. Alles in allem eine super Zeit mit vielen neuen Freunden. Wenn ihr selbst einmal in der Nelson-Region seid, kann ich euch Hoddys Orchard nur empfehlen. Schaut einfach vorbei und bewerbt euch. Fleißige Hände werden immer gesucht. Doch Vorsicht: Immer schön den Treckerfahrer grüßen – es könnte euer Chef sein!
Zu mir kann ich sagen: Neuseeland war eine großartige Lebensschule für mich, die ich nirgendwo anders hätte finden können. Schon vor Beginn einer Work-and-Travel-Reise wird man von all den Sachen, die man im Voraus zu regeln (und zu bezahlen…) hat, fast erdrückt. Doch die Vorfreude lässt einen alles schaffen. In Neuseeland angekommen merkte ich schnell, dass mein Schulenglisch schon bald seine Grenzen fand und auch einfach Leute anzusprechen fiel mir noch schwer. Doch um einen Job zu finden, musste ich beides tun – und plötzlich merkt man, was der Körper und das Gehirn zu leisten im Stande sind. Nach 2 Monaten wurde ich schon für einen Neuseeländer gehalten, ich quatschte hier und da mit jedem, der freundlich aussah und auch Freunde fand ich schnell. Ich kann jedem empfehlen, sich selbst und seine eigenen Stärken und Schwächen während eines Auslandsaufenthaltes, egal wo auf der Welt, neu kennenzulernen. Man muss die Dinge allein in einem unbekannten Land schaffen – und genau das ist die beste Schule des Lebens, die einem niemand sonst bieten kann.
TEXT & FOTO Lars Schwauna
Apfelsaison: Anfang März bis Mitte Mai
Bewerbung: Mitte Februar oder einfach hinfahren
Arbeitszeiten: 6 Tage die Woche à 8 Stunden pro Tag (Samstags meistens kürzer)
Lohn: Mindestlohn $13,25/ Stunde (entspricht 3-4 Bins). Alles was über Minimum ist, steigert euren Stundenlohn
Sprachkenntnisse: Eigentlich nicht zwingend notwendig, aber der Spaß steigt mit dem Vokabular