„Wir wollen nicht tatenlos zusehen“
Schüler Helfen Leben (SHL) ist die größte jugendliche Hilfsorganisation in Deutschland. Sie fördert und betreibt seit Jahren Jugend- und Bildungsprojekte in Südosteuropa, Jordanien und Deutschland mit den Themenschwerpunkten Antidiskriminierung, Jugendmanagement und der Unterstützung von Geflüchteten. ME2BE hat mit Asena Kilinc (21), seit August 2021 zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und Partnerschaften am Bürostandort Neumünster, über die Arbeit der Organisation und die speziellen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg gesprochen.
Angefangen hat alles Anfang der 90er Jahre mit einer kleinen Gruppe von Schülerinnen und Schülern aus Bad Kreuznach, die mit einer privat organisierten Spenden-Hilfsaktion für Kroatien das Leid dort abmildern wollten. Über die Jahre ist aus SHL eine sehr professionell agierende Organisation und ein Verein geworden, der beweist, dass aus einer kleinen Idee eine große Bewegung entstehen kann.
ME2BE: Wie lange sind Sie bei SHL und warum? Die Angebote für Bundesfreiwilligendienste sind doch sehr breit gefächert.
Kilinc: Hilfsbereitschaft und soziales Engagement waren schon immer schon Teil meines Lebens. Für mich stand folglich schon während der Schulzeit fest, dass ich am Programm des Bundesfreiwilligendienstes teilnehmen und mich für das Allgemeinwohl engagieren möchte. Dabei war es mir aber auch sehr wichtig, für eine Organisation im Bereich Jugendhilfe zu arbeiten, bei der ich nicht nur assistiere, sondern aktiv mitarbeiten und etwas mitgestalten kann – genau das kann ich hier bei SHL machen.
ME2BE: Nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine hat Schüler Helfen Leben umgehend reagiert. Welche Hilfsmaßnahmen wurden realisiert?
Kilinc: Wir haben in Moldawien, der Westukraine und Polen über unser Netzwerk sofort mit vertrauenswürdigen Partnerorganisationen Kontakt aufgenommen. In den Grenzgebieten zur Ukraine sowie in der Westukraine selbst haben wir Nothilfe-Projekte für ankommende und durchreisende Flüchtende und Binnenvertriebene gestartet und werden sie in den kommenden Wochen je nach Bedarf weiter flexibel ausbauen.
ME2BE: Welche Partnerorganisationen sind das genau?
Wir arbeiten mit der Ukrainisch-Deutschen Kulturgesellschaft in Czernowitz, mit der Ukraine- Nothilfe-Homo Faber im polnischen Lublin und EcoVisio im moldauischen Rîscova zusammen. Diese Organisationen leisten Nothilfe in den Bereichen Hilfsgüterbeschaffung und -verteilung, psychologische Unterstützung sowie Beratung und Unterbringung für Flüchtende. Durch den Einsatz der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer unserer Partner bekommen betroffene Kinder und Jugendliche sowie deren Familien schnelle und effektive Unterstützung.
ME2BE: Wie finanziert sich diese Hilfe?
Kilinc: Zum einen durch unsere ständige Spendenaktion #gemeinsamsolidarisch, die auf unserer Webseite alle dazu aufruft, sich mit Freunden, an Schulen oder in Freizeitvereinen in den von uns unterstützten Bereichen zu engagieren. Das können neben direkten Spenden unterschiedliche Maßnahmen wie Kuchenverkauf oder Sponsorenlauf sein. Ein weiterer Schwerpunkt ist unser Sozialer Tag, den wir seit 1998 durchführen. Die Idee hinter dieser Initiative ist die weltweite Unterstützung von Gleichaltrigen, die sich in keinem demokratischen Staat wie dem unsrigen engagieren können und unter verschiedensten Repressalien leiden. Am Sozialen Tag tauschen über 60.000 Schüler die Schulbank gegen einen Arbeitsplatz. Das dort verdiente Geld, und das sind über die Jahre bereits 30 Millionen Euro, fließt einerseits in weltweite Projekte im Bereich Jugend- und Bildungsarbeit und ermöglicht es andererseits, den teilnehmenden Schülern vor Ort, Berufe kennenzulernen, Kontakte zu knüpfen sowie ihr soziales Engagement und ihre Solidarität zu fördern. In diesem Jahr findet der Soziale Tag am 23. Juni statt, und aus gegebenem Anlass prüfen wir gerade, ob und wie wir eine konkrete Unterstützung für in Deutschland ankommende Ukraine-Flüchtlinge realisieren können.
ME2BE: Wie bekommen Sie so viel Arbeit gestemmt?
Kilinc: Wir sind hier im Büro sechs Bundesfreiwilligendienstleistende aus Deutschland, aus dem Kosovo und aus Bosnien und Herzegowina. Jeder hat seinen eigenen Aufgabenbereich, und wir haben einen hauptamtlichen Mitarbeiter in der Administration. Der Geschäftsführer unserer Organisation kommt einmal die Woche nach Neumünster zum Update, und ich fahre alle sechs Wochen nach Berlin in den Hauptsitz. Daneben sind wir in ständigem Austausch mit unserem Büro in Lübeck, das sich um die Verbreitung des Solidarity Action Day Movement (SAME) in Europa kümmert: ein durch SHL mit gegründeter europäischer Dachverband zur Unterstützung der verschiedenen Initiativen. In dieser Kooperation führen wir auch weiterführende Seminare für unsere Mitglieder durch oder veranstalten das Act.ival for Future, ein interaktives Online- Festival mit Workshops, Diskussionen, Spielen, Konzerten und vielem mehr. Hier tauschen sich einmal im Jahr Jugendliche aus ganz Europa über relevante Themen, wie zum Beispiel Climate, Migration & Mobility aus.
ME2BE: Wie genau realisieren Sie den Sozialen Tag?
Kilinc: Wir haben ein sogenanntes ‚Sozialer Tag Mobil’. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten Kontakt zu den Schulen und besuchen diese auf Nachfrage, um die Idee vorzustellen und die konkreten Umsetzungswünsche zu unterstützen. Wir bieten Workshops, Materialien zur Durchführung und Hilfe in jeglicher Hinsicht.
ME2BE: Aber nur mit Hilfe der Schüler bzw. Jugendlichen und Schulen lässt sich ein solches Mammut-Projekt nicht realisieren?
Kilinc: Natürlich nicht. Wir haben Schirmherren aus den Bereichen Politik, Kunst, Medien und Social-Media und sind selber Mitglied bei vielen Organisationen. Dennoch ist und bleibt der Kernpunkt unserer Arbeit die freiwillige Mobilisierung von Jugendlichen für Jugendliche, um diese Welt zu verändern und Gutes zu bewirken. Es geht letztendlich auch nicht nur um schnelle finanzielle Hilfe, sondern um Hilfe zur Selbsthilfe, damit angestoßene Projekte finanziell unabhängig werden und somit eine Unterstützung nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig Sinn ergibt.
ME2BE: Was wünschen Sie sich persönlich bezüglich der aktuellen Lage – Krieg in Europa?
Kilinc: Als Jugendliche, die in Deutschland aufgewachsen ist, bedrückt mich und meine Generation ein Krieg in Europa sehr. Aber zum Glück merkt man vor allem unter den jungen Menschen in Deutschland und anderen europäischen Ländern eine große Solidarität und den Wunsch zu helfen. Das Engagement von Ehrenamtlichen begeistert mich sehr und motiviert, einfach weiter zu machen. Von der Politik erhoffe ich mir, dass dieses jugendliche Engagement besser wahrgenommen, wertgeschätzt und unterstützt wird. Ich würde mir allerdings auch wünschen, dass die momentane Hilfsbereitschaft der Bevölkerung in Zukunft auch für Menschen gilt, die aus einem nicht europäischen Land fliehen müssen. Außerdem bleibt auch die Sorge, dass die Solidarität wieder abnimmt, sollte der Krieg nicht mehr an oberster Stelle in den Schlagzeilen stehen.
TEXT Anja Nacken
FOTOS SHL