Mit Haut und Haar

Mit Haut und Haar

Hair- und Make-up-Artist Enes Dogan über totale Reizüberflutung und kunstvolle Bärte

Er sagt von sich selbst, er schaffe Kunstwerke auf den Köpfen der Leute. Hair- und Make-up-Artist Enes Dogan (27) aus Nürtingen (Baden-Württemberg) hat es sogar international auf die große Bühne geschafft. Doch die Corona-Krise geht auch an ihm nicht spurlos vorbei: Die Erkenntnis, dass weniger Arbeit auch mal mehr sein kann, brachte den jungen Deutschen mit türkischen Wurzeln dazu, eine spirituelle Lebensphase zu beginnen und zurück in die raue Heimat seiner Familie zu kehren.

Bis zum Ausbruch der weltweiten Corona-Pandemie gab es in Enes Dogans Leben viel Glanz und Glamour, weltweite Dienstreisen für Styling-Jobs auf internationalen Fashion- und Filmevents und kein einziges freies Wochenende. Als Workaholic bezeichnete sich der junge Friseur, der mit 15 Jahren als Praktikant bei einem Barber anfing und zwei Jahre später seine Ausbildung machte. Bald darauf folgten der Meistertitel, verschiedene Stationen etwa als Salon-Leiter in der Branche, eine Weiterbildung zum international zertifizierten Make-up-Artisten an dem MUD Studio in Deutschland und schließlich das eigene Friseur-Atelier in Nürtingen bei Stuttgart. Dort arbeitete er bis zum Lockdown von Dienstag bis Freitag und bereiste am Wochenende für Fashion-Events die ganze Welt. Seine Buchhaltung erledigte er auf seinem Laptop über den Wolken. „Oft bin ich nach der Landung in Deutschland mit meinem Koffer direkt zurück in den Salon marschiert“, erzählt Enes Dogan. Seine eigene Wohnung sah er selten. Stattdessen Kapstadt, Hongkong, Budapest, New York. „Flughäfen waren mein zweites Zuhause. Ich habe die Bühne gebraucht“, sagt der Hair- und Make-up-Stylist.

Enes Dogan

Gartenarbeit statt Bühnenzauber

Doch dann kam Corona. Auf den internationalen Events gingen die Lichter aus. Friseure in Deutschland mussten ihre Salons schließen. Enes Dogan blieb zu seiner eigenen Überraschung gelassen. „Als erstes habe ich mir gedacht, du hast die letzten Jahre so viel gearbeitet, warum soll ich mir existenzielle Sorgen machen?“ Und dann kam da noch dieses andere Gefühl. Schleichend, wie graues Haar durch die Hintertür, aber immer deutlicher. „Wenn man jedes Wochenende unterwegs ist und ständig auf einer anderen Bühne steht, dann erfährt man die totale Reizüberflutung.“ Freundschaften und der Bezug zu seiner Familie litten während dieser Zeit. Das Coronavirus half Enes Dogan seinen Blickwinkel zu ändern: Während ganz Deutschland im Lockdown festsaß, begann er in seinem Elternhaus die Gartenarbeit zu erledigen. Im Dreck zu wühlen. Ganz allmählich verspürte er ein ganz neues Freiheitsgefühl – fernab von Shootings und dem großen Rummel.

„Meine Arbeit hat mir Ruhm gebracht und war ein erfolgreicher Lebensabschnitt, aber Work-Life-Balance ist für mich ein großes Thema geworden.“

„Meine Arbeit hat mir Ruhm gebracht und war ein erfolgreicher Lebensabschnitt, aber Work-Life-Balance ist für mich ein großes Thema geworden“, verrät Enes Dogan in einer Videokonferenz aus seiner Nürtinger Wohnung. Auf der Fensterbank im Hintergrund steht seine Lieblingsliteratur aufgereiht: Werke aus der griechischen Mythologie wie die Odyssee von Homer, deutsche Klassiker wie Siddhartha von Hermann Hesse und eine Autobiographie von Mahatma Gandhi. Das Lesen ist seine neue Leidenschaft in der freien Zeit, ebenso wie das Spiel auf der türkischen Saz, einer orientalischen Gitarre. „Ich möchte gerne zurück zu meinen Wurzeln und noch spiritueller werden“, bekennt der Hair-Stylist. Seine Vorfahren gehörten einem Steppenvolk an, das in der tiefsten türkischen Provinz Viehzucht und Ackerbau betrieben hatte. „Ich bin bereits in der dritten Generation in Deutschland aufgewachsen, aber immer auf der Suche nach dem, was ich bin und was ich machen muss.“

 

Enes Dogan Laufsteg

Jedenfalls möchte Enes Dogan sein Arbeitspensum auf der internationalen Bühne etwas zurückfahren, soweit die Pandemie es überhaupt zulässt. In seinem Nürtinger Salon, der den Namen „Schee“ (schwäbisch für „schön“) trägt, kann er sich vorstellen, etwas weniger präsent zu sein.

„Vielleicht reise ich irgendwann mit ´nem Van durch die Welt und lerne das echte Leben kennen.“

Im Schein des Rampenlichtes

Bisher spielte sich sein Leben oft im Rampenlicht ab, wie beispielsweise 2019 in Budapest, wo er zu einer Show eingeladen war, an die er keine allzu großen Erwartungen hatte. „Ich dachte, da kommen ein paar Leute und ich zeig ein bisschen was. Aber dann waren 600 Menschen und etliche Medien da, und ich stand neben großen Unternehmen wie Schwarzkopf und L`Oreal alleine mit meinen Models auf der Bühne.“ Da habe er erstmals in meiner beruflichen Laufbahn etwas Panik verspürt, gesteht Dogan. Doch dann sei die Aufregung in Energie umgeschlagen, und er habe mit seinen Models auf der Bühne getanzt und eine interaktive Show inszeniert. Danach sei er mit Presseanfragen geradezu überhäuft worden, erinnert sich Enes Dogan.

Enes Dogan

Ein sehr lehrreiches Erlebnis hatte Enes Dogan bei einem Auftrag in Katar. Üblicherweise, erzählt der Friseur, zeige er im Ausland gerne westliche Haarschnitte in seinem gewohnten Stil: natürlich und den jeweiligen Typ unterstreichend. Was er nicht bedacht hatte: die Menschen auf der arabischen Halbinsel hatten schon allein wegen der Hitze meistens kahlrasierte Schädel, dafür trugen sie jedoch kunstvolle Bärte. „Da wusste ich, dass geografische Besonderheiten immer eine Rolle spielen.“

Nachhaltig und natürlich: Akielle

Seine vielfältigen Erfahrungen sind immer wieder die Quelle neuer kreativer Inspirationen. Seit zwei Jahren produziert Enes Dogan zusammen mit einem Bekannten eine Produktlinie unter dem Namen „Akielle“. Für Haut und Körper sind bereits Lotions auf dem Markt, die ein ganz besonderes Ziel verfolgen. Nämlich nachhaltig zu sein und für die Inhaltsstoffe natürliche Ressourcen zu verwenden, die bereits in der Antike erprobt wurden. Schwarzkümmelöl sei so ein Beispiel, erklärt Enes Dogan. Schon die alten Römer und Griechen hätten um die antibakterielle und keimtötende Wirkung des Allheilmittels gewusst, das Hautunreinheiten, Rötungen und fettige Haut lindern sowie das Entstehen von Falten verzögern könne. „In der Antike sagte man dazu schwarzes Gold.“

Salon von Enes Dogan

Für Enes Dogan ist die eigene Produktlinie, der in Kürze auch ein Haar-Programm folgen soll, ein weiteres Standbein auf dem Weg zu einem freieren und selbstbestimmten Leben. Das vielleicht auf einer türkischen Insel mit Viehzucht enden könnte – irgendwann einmal. Wenn nicht gerade Kapstadt ruft. Oder New York. Oder Paris.

 

TEXT Nadine Schättler
FOTOS Enes Dogan, Jennifer Schubert