Interview mit Christof Vetter vom Kreisforst Dithmarschen

Interview mit Christof Vetter vom Kreisforst Dithmarschen

Christof Vetter ist zuständig für fast 800 Hektar kreiseigene Wälder in Dithmarschen. Als Förster in achter Generation aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein im Sauerland stammend, bringt der 43-Jährige eine tiefe Verbindung zum Wald mit. Seit 2004 ist er Diplom-Forstingenieur. Seine akademische Laufbahn begann Vetter nach dem Abschluss der Realschule und dem Wechsel zum Gymnasium, wo er sein Abitur machte.

Nach seinem Wehrdienst studierte er an der Fachhochschule in Göttingen Forstwirtschaft. Es folgte das sogenannte „Anwärterjahr“ im Forstbereich bei der Landesforstverwaltung in Nordrhein-Westfalen, das dem Referendariat der angehenden Lehrer vergleichbar ist, und beendete es mit der Laufbahnprüfung für den gehobenen Forstdienst. Nach verschiedenen beruflichen Stationen zum Beispiel im Holzhandel, Rundholzlogistik landete er dann in Dithmarschen.
Heute ist es ein Bachelor-Studiengang mit sechs Semestern. Damit kann man sich dann beispielsweise auf eine Trainee-Stelle bewerben, was aber in den Bundesländern unterschiedlich geregelt ist.

Was hat Sie nach Dithmarschen gebracht? War das Zufall?

Es spielte der Zufall eine Rolle. Ich hatte eine feste Stelle in NRW, dort hätte ich bleiben können, aber es ist gut, wenn man in der Jugend verschiedene Jobs macht und Erfahrungen sammelt, über den Tellerrand blickt. Und ich wollte gerne weiter nach Norden. Ich habe einen engen Bezug nach Schweden, bin gerne dort im Urlaub. Und von Dithmarschen aus ist es einfach kürzer bis dorthin. Und es sind hier auch andere Herausforderungen. Wenn man das Sauerland kennt, steile Hänge und Fichtenbestände, dann ist es hier schon etwas anderes, deutlich Baumarten reicher mit mehr Laubholz. Ich war vorher bei der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein im Bereich Schleswig-Flensburg auf einer befristeten Stelle und konnte anschliessend im November 2015 hier nach Dithmarschen wechseln, weil mein Vorgänger in den Ruhestand ging.

Wie unterscheidet sich Dithmarschen denn vom Sauerland?

Es gibt zahlreiche Unterschiede. Mein Heimatkreis ist mit 74 Prozent Waldanteil einer der waldreichsten Kreise Deutschlands, Dithmarschen ist der waldärmste Kreis, sogar noch hinter der Stadt Hamburg. Und das Sauerland ist ein Mittelgebirge, also ein ganz anderes Relief als hier. Auch klimatisch gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen dem eher kontinentalen Klima im Sauerland und dem Seewind mit seiner salzhaltigen Luft hier. Und damit eine andere Baumartenzusammensetzung, die Bäume wachsen hier auch anders, woraus sich ganz andere Herausforderungen ergeben.

Blicken wir auf den wirtschaftlichen Aspekt: Wie ist die forstwirtschaftliche Entwicklung?

Die letzten Jahre zeigten ähnliche Probleme wie im Sauerland auch im Harz: Die Sommermonate in den letzten Jahren waren viel zu trocken, die Bäume standen unter Stress und der Borkenkäfer konnte unter diesen Bedingungen eine extreme Massenvermehrung verzeichnen. Der Harz ist kahl, das Sauerland ist inzwischen auch. Dem Thüringer Wald gebe ich noch zwei Jahre, dann ist er ebenfalls leer. Und das betrifft vermutlich alle Mittelgebirge in Deutschland. Aber auch im Norden geht der Klimawandel nicht spurlos vorüber. Man hat in der Forstwirtschaft schon immer darüber gesprochen, aber die Schnelligkeit wurde unterschätzt, so richtig ernst genommen hat es keiner. Aber seit dem Jahrhundertsommer 2018 kommt ein trockener Sommer nach dem anderen, es wird auf einmal alles über den Haufen geworfen, wir haben riesige Probleme im Wald. Allein die Sturmschäden sind immens: 2007 mit „Kyrill“, 2013 „Christian“ und „Xaver“ im Norden. Danach weitere Stürme und dann die Trockenheiten. Und obwohl wir hier zwischen den Meeren liegen, was den Klimawandel stark puffert und den Bäumen eigentlich zugutekommt, haben wir auch hier deutliche Probleme mit absterbenden Bäumen und dem Borkenkäfer.
Zur Verdeutlichung: Alle zehn Jahre machen wir eine Inventur, in der wir messen, wie viele Bäume, wie viel Holz wir stehen haben. Daraus leitet sich dann ein nachhaltiger „Hiebsatz“ ab, wie viel wir jedes Jahr entnehmen. Diesen Hiebsatz habe ich durch Sturmschäden und Borkenkäferbefall jedes Jahr überschritten. Teilweise um das dreifache.
Wir müssen aktiv gegen den Borkenkäfer arbeiten, sonst würden wir hier wahrscheinlich schon keine grünen Bäume mehr haben. Wir können es nur machen, indem wir „saubere Forstwirtschaft“ betreiben. Wir müssen die kranken Bäume finden, wir müssen sie entnehmen und sie möglichst schnell zum Sägewerk fahren, um so das Problem einzudämmen.

Mann vor Baum

Christof Vetter ist seit 2004 Diplom-Forstingenieur.

Was sind die Ursachen für das Borkenkäfer-Problem?

Der Borkenkäfer ist ein natürlicher Teil des Waldökosystems, doch bei Störungen wie Trockenheit können schnell Probleme auftreten. Früher harmonierte das, es gab Gegenspieler wie den Ameisenbuntkäfer oder den Buntspecht, das pendelt sich normalerweise ein. Wenn aber das System Wald zum Beispiel durch Trockenheit gestört ist, gibt es schnell Probleme. Die Gesamtmenge des Niederschlages bleibt zwar vermutlich in Deutschland immer noch auf dem früheren Niveau. Aber: Der Regen verschiebt sich, es regnet im Winterhalbjahr und im Sommer bleibt er aus. Damit kommen die heimischen Bäume nicht zurecht. Die Buche zum Beispiel braucht einen feuchten und kühlen Sommer, das atlantische Klima, an das sie angepasst ist. Den braucht auch die Fichte. Wenn sich das ändert, steht sie unter Stress. Das macht sie anfällig für den Borkenkäfer. Vereinfacht gesagt kann eine gesunde Fichte eintausend Borkenkäfer abwehren, sie harzt die Käfer ein. Erst der 1001. schafft es vielleicht, sich einzunisten. Wenn sie unter Stress steht, reicht ihre Kraft vielleicht nur noch zur Abwehr von 100 Käfern und der 101. würde es dann schaffen. Das andere ist: Der Borkenkäfer profitiert vom Klimawandel. Normalerweise macht er eine oder zwei Generationen im Jahr, im Rekordsommer 2018 mit seiner langen Wärme und Trockenheit schaffte er in manchen Gegenden fünf Generationen!

Muss man sich von der Fichte verabschieden?

Teilweise. Das Problem ist komplex. Es ist nicht die böse Fichte. Nach dem Krieg gab es große Kahlflächen durch Reparationen und den riesigen Bedarf von Bauholz für den Wiederaufbau. Buchensaatgut war teuer, Fichtensaat gab es in großer Menge. Und: Aus Buche baut niemand einen Dachstuhl. Man hat sich auch damals Gedanken gemacht.

Hätten Mischwälder heute einen Vorteil?

Wir müssen in Zukunft gucken, dass wir unsere Wälder „bunter“ gestalten, also weg von den Monokulturen. Aber wenn ich hier im Kreisforst gucke, waren unsere Flächen nach dem Zweiten Weltkrieg alle kahl. Heute habe ich nach der Aufforstung einen homogenen 70-jährigen Wald. Ich habe wenig Jungwald und ich habe so gut wie keinen alten Wald. Das ist historisch bedingt.
Heute ist das Ziel, eine Arten- und Altersmischung herzustellen, was das System stabiler machen würde. Und der Borkenkäfer hätte dann auch nicht mehr die Chance auf eine Massenvermehrung. Das ist aber extrem arbeitsintensiv, das machen wir nicht in ein oder zwei Jahren. Wir reden bei Eichen zum Beispiel über einen forstwirtschaftlichen Produktionszeitraum von 300 Jahren!

Ist der Waldumbau ein Lotteriespiel?

Wir müssen schon mit verschiedene Baumarten hantieren, aber nicht nur die Fichte ist das Problem: In Niedersachsen zum Beispiel sind großflächig Buchenwälder abgestorben. Bei mir im Riesewohld bei Odderade habe ich alte Buchen, die innerhalb eines halben Jahres absterben. Sowas habe ich noch nie gesehen. Auch meinem Vater ist das noch nie begegnet. Das sind Phänomene, die ich dem Klimawandel zuordne. Wenn schon 1,5 Grad Erwärmung solche Folgen hat, möchte ich nicht wissen, was noch ein weiteres Grad für Folgen hätte. Das macht mir Angst.
Wir müssen mit einem Anteil fremdländischer Baumarten operieren, um das Risiko eines totalen Absterbens der Wälder zu puffern. Trotzdem würde ich von wildem Experimentieren dringend abraten, auch wenn uns die Zeit wegläuft. Die Douglasie hat sich seit 200 Jahren bei uns bewährt, die macht bisher bei uns keine Schwierigkeiten und fügt sich gut ein. Auch die amerikanische große Küstentanne und die amerikanische Roteiche wachsen hier gut. Ich würde auf solche schon etablierten Baumarten zurückgreifen.
Glockenbaum, Tulpenbaum oder Atlas-Zeder gehören für mich eher in wissenschaftliche Hände.
Andere Bäume geben Rätsel auf: Spätblühende Traubenkirsche und Robinie breiten sich bei uns zwar rasant aus, bilden hier aber keine verwertbaren Stämme aus, sondern bleiben buschig, wachsen krumm oder brechen im Alter zusammen, während sie sich in deren Heimat zum hochwertigen Möbelbau eignen. Dabei kämen sie ansonsten gut mit dem Klimawandel zurecht.

Und die wirtschaftliche Betrachtung?

Trotz der wirtschaftlich eher unattraktiven Nutzung des Waldes im Vergleich zur Landwirtschaft spielt der Wald eine zentrale Rolle für den Arbeitsmarkt im Bereich Wald und Holz.. Das ist, wirtschaftlich gesehen, alles Liebhaberei. Trotzdem ist es per Gesetz verboten, die Waldflächen zu roden und beispielsweise mit Photovoltaik vollzustellen.
Insgesamt hängen dennoch sehr viele Arbeitsplätze am Cluster Wald und Holz: Die nachfolgenden Verarbeitungsbetriebe, von Möbeln und Hausbau bis hin zu Zeitung, Büchern und Klopapier, sind einer der größten Arbeitgeber in Deutschland, wenn man alle, auch vom Schreiner bis zum Tischler, betrachtet.

Männer in Arbeitskleidung

Die werdenden Forstwirte

Wie ist die Ausbildungssituation in der Forstwirtschaft?

Aktuell ist bei uns eine Azubi-Stelle ausgeschrieben, ich möchte gerne jedes Lehrjahr einen neuen Auszubildenden zum Forstwirt einstellen. Einer meiner drei wird ja in diesem Jahr fertig. Es gibt in Schleswig-Holstein nicht viele Ausbildungsbetriebe, in Schleswig-Flensburg und Nordfriesland im Moment gar keinen. In Dithmarschen sind wir der einzige Betrieb, der im Forstbereich ausbildet, die Landesforsten bilden in Bad Segeberg aus.
Ich halte die Ausbildung aber für wichtig, es ist auch ein sehr vielfältiger Beruf. Zwar ist es schwierig, in so einer waldarmen Region auf einer Forstwirtstelle unterzukommen. Aber die Forstwirte sind mit ihrer breiten Ausbildung an vielen anderen Stellen beliebt, zum Beispiel bei der Straßenmeisterei, weil sie Trecker fahren und mit der Motorsäge umgehen können. Im Gartenbau bei Problembaumfällungen, es gibt viele Möglichkeiten. Der Beruf macht Spaß.

Was muss ein Bewerber mitbringen?

Körperliche Fitness ist definitiv wichtig. Er oder sie muss nicht als Bodybuilder kommen, man wird bei uns einer. Meine Jungs haben alle ein breites Kreuz, das ist einfach so. Freude und Spaß an der Natur muss man haben und gerne draußen sein, es kann dreckig sein, und windig und den ganzen Tag regnen. Und im Sommer auch sehr heiß sein. Da können acht Stunden Arbeit mit dem Freischneider in voller Arbeitsmontur schon sehr anstrengend werden. Man muss auch an seiner Gesundheit arbeiten wollen und auf sie achten. Und wir haben natürlich regelmäßig einen arbeitsmedizinischen Check. Als Forstwirt wird immer mit zwei bis drei Personen in einer Rotte gearbeitet, daher ist die Teamfähigkeit sehr wichtig. Waldarbeit kann bei fahrlässigem Arbeiten sehr gefährlich werden. Die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften und anderer Vorgaben ist sehr wichtig. Ein wenig Mathematik gehört ebenfalls zur Ausbildung dazu.

Vielen Dank für das Gespräch.

Timo, Jesse und Finn berichten von ihrer Ausbildung.

TEXT und FOTO Michael Ruff