In der Höhe steckt die (Wind-)Kraft

In der Höhe steckt die (Wind-)Kraft

Statt auf gigantischen Türmen thronend könnten in Zukunft fliegende Windenergieanlagen Strom liefern – effizienter und günstiger als jeder andere Kraftwerkstyp. Im norddeutschen Klixbüll wird einer der heißesten Kandidaten der innovativen Technologie getestet.

Rasant zieht der rot-weiß gestreifte Flugdrachen seine Bahnen am nordfriesischen Himmel. Nein, es ist kein Kitesurfer, sondern ein Kraftwerk des Hamburger Unternehmens Skysails. Während des Flugs spult der Kite ein Halteseil von einer Seilwinde am Boden. Die Winde ist gleichzeitig ein Generator, der mit jeder Umdrehung Strom liefert. „Unser Standort Klixbüll in Schleswig-Holstein ist unser Teststandort. Hier werden bestehende und neue Systeme und deren Komponenten erprobt und auf ihre Leistungsfähigkeit geprüft“, sagt Firmengründer Stephan Wrage.

Höhenwindkraft nennt man diese Art der Windenergie. Fachleute in aller Welt sagen kurz AWES dazu – Airborne Wind Energy Systems. Die Technologie bietet, verglichen mit der konventionellen Windkraft, eine Reihe an Vorteilen:

  • Höhenwindkraftwerke gelangen dorthin, wo die konventionelle Windkraft gern wäre: in 300 und mehr Metern Höhe. Höhe ist gut, denn oben bläst der Wind stärker und beständiger. Eine einfache Formel besagt: Doppelte Windgeschwindigkeit gleich achtfache Energieausbeute.
  • Flugwindkraftanlagen benötigen keine aufwändigen Fundamente, Türme oder Zuwegungen. Das spart Stahl und Beton, also Geld und Emissionen. Im Ressourcenverbrauch stehen Flugkraftwerke deutlich besser da als Dreiflügler. Allein der Turm eines durchschnittlichen Windrads wiegt rund 3000 Tonnen. Hinzu kommen 1500 Kubikmeter Beton und 180 Tonnen Stahl, die im Fundament verbuddelt werden.
  • Und dann sind da noch die Restriktionen beim Bewegen der gigantischen Windradkomponenten. Deren Maschinenhäuser, Turmsegmente und Flügel sind inzwischen so groß, dass ihr Transport zur logistischen Meisterleistung wird. Autobahnbrücken sind nur eines der Nadelöhre, das den Ingenieuren schon beim Konstruieren Kopfzerbrechen bereitet. All diese Argumente fallen bei der Flugwindkraft kaum ins Gewicht.

Zahlreiche Unternehmen und Universitäten sind involviert

Dem Prinzip attestieren etliche Akteure das Potenzial, mit der konventionellen Windkraft gleichziehen zu können. Gleichwohl warnen sie vor zu viel Euphorie: Höhenwindkraft sei eine Zukunftstechnologie. Noch sind wir da, wo die konventionelle Windkraft in den 1980er-Jahren war. Unternehmen, Universitäten und Energieversorger bringen sich in das Thema ein, darunter die TU Berlin und TU München, Hannover, Stuttgart, Oldenburg, das DLR in Braunschweig und das Fraunhofer-Institut IWES, sowie Projektentwickler und Energieversorger wie EWE, EnBW oder RWE.

Die Skysails Power GmbH, die den Kite über Klixbüll testet, zählt zu den Pionieren. Der Standort eigne sich wegen der vorteilhaften Windbedingungen und auch aufgrund des flachen Umlands. „Da der Standort im Rahmen eines Pilotprojekts errichtet wurde, ist aber vor allem das große Interesse und die Unterstützung der Gemeinde vor Ort wichtig für uns. Dass die Politik, Behörden und Bevölkerung vor Ort hinter Technologien erneuerbarer Energien stehen, ist das A und O für solche Vorhaben, vor allem bei innovativen Technologien“, sagt Wrage.

Ursprünglich entwickelten die Hamburger Zugseilsysteme zur Installation auf Frachtschiffen. Doch dann kam die Wirtschaftskrise und niemand wollte mehr in Effizienztechniken auf See investieren. Seit 2016 konzentrieren sich die Hamburger auf fliegende Windkraftwerke. Das lag nahe. Schließlich haben sie mit einigen wichtigen Komponenten, die in der Airborne Wind Power zum Einsatz kommen, Erfahrung: Man weiß, wie man große Drachen an der Leine bändigt – und welche Kräfte da wirken. Auch haben sie eine Automatik entwickelt, die den Kite steuert. Ferner wissen sie, wie man solch ein Ungetüm auf See automatisiert startet und landet. Rund tausend Flugstunden soll das System bereits im Einsatz gewesen sein.

„Derzeit betreiben wir weltweit zwei Standorte mit einer Betriebserfahrung von mehr als fünf Jahren. Dazu gehören unser Forschungs- und Entwicklungsstandort in Klixbüll, Norddeutschland, sowie unsere Anlage ,SKS PN-14′, die kontinuierlich auf Mauritius betrieben wird. Zusätzlich stehen weitere Anlagen kurz vor der Auslieferung“, sagt Wrage.

Mit dieser Erfahrung im Gepäck arbeiten die Hamburger an Flugwindkraftwerken. Entsprechend selbstbewusst gibt sich Wrage: „Höhenwind ist das größte ungenutzte erneuerbare Energiepotenzial der Welt. In diesem Bereich sind wir Markt- und Technologieführer und freuen uns über eine immer stärker werdende Branche“, sagt Wrage.

Die Endmontage der Flugwindenergieanlagen erfolgt im niedersächsischen Seevetal, vor den Toren Hamburgs. Die rund 20 Tonnen schweren Bodenstationen werden zusammen mit der Stromerzeugungseinheit und dem Start- und Landemast des Drachens in einer 900 Quadratmeter großen Produktionshalle hergestellt. Es zeichne sich bereits ab, dass die derzeitige Kapazität der Produktionsstätte in den kommenden Jahren deutlich erweitert werden müsse, heißt es. Rund 90 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigt das Unternehmen derzeit, doch dabei soll es nicht bleiben: „Bei Skysails sind wir immer auf der Suche nach neuen Talenten, die Lust haben, mit uns die Energiewende zu gestalten“, sagt Wrage.

SkySails Fabrik in Deutschland

Wie alles begann

In den 1960er-Jahren kamen die ersten Überlegungen auf, mit Flugdrachen Generatoren anzutreiben, um Strom zu erzeugen. Aber erst in jüngster Zeit nahm die Idee Form an. Möglich machten es neue Entwicklungen im Bereich der Sensorik, neue Materialien und computergesteuerte Autopiloten. Maßgeblich an der Entwicklungsarbeit beteiligt waren Hochschulen. So erforschte vor allem die Technische Universität Delft in den Niederlanden die Grundlagen der Höhenwindkraft.

„Ich komme auf etwas mehr als 60 Teams, die gerade weltweit an der Technologie arbeiten“, sagt Roland Schmehl von der TU Delft. Schmehl ist Mitgründer des Höhenwindkraft-Unternehmens Kitepower. „Anders als noch vor zehn Jahren ist die technische Machbarkeit längst keine Frage mehr. Aktuell dreht sich alles um die Wirtschaftlichkeit der kommerziellen Prototypen unter marktrelevanten Einsatzbedingungen. Zurzeit betreiben mehrere Firmen Testanlagen mit Leistungen von bis zu 200 Kilowatt. Ziel dabei ist es möglichst viele Betriebsstunden zu erreichen, um die Zuverlässigkeit in den verschiedenen Betriebsphasen und unter verschiedensten Windbedingungen zu erproben und systematisch zu verbessern. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Automatisierung der Start- und Landemanöver, die vergleichsweise kritisch sind, da sich der Kite relativ nahe am Boden bewegt, wo es für den Autopilot der Anlage schwer ist, effektiv auf Windböen oder Anomalien zu reagieren“, sagt Schmehl.

Generator am Boden oder in der Luft?

Beim Entwerfen der Flugwindanlagen kristallisieren sich zwei unterschiedliche Herangehensweisen heraus:

  • Das eine Lager bringt den Generator in die Luft und erzeugt den Strom im Flug. Über spezielle Halteseile, die gleichzeitig den erzeugten Strom transportieren, wird er dann zur Erde geleitet. Zu jenen, die diese Variante bevorzugen, gehörte bis vor kurzem auch Google (Alphabet). Die Kalifornier haben mit dem Unternehmen Makani einen Flügel entwickelt, der ständig im Wind kreist und kontinuierlich Strom liefert. Acht an der Tragfläche montierte Generatoren erzeugten im Idealfall, also bei genügend Wind, stolze 600 Kilowatt. Der Nachteil: So ein Flügel hat das Gewicht eines kleinen Flugzeugs. Leicht vorstellbar, was passiert, wenn so eine Maschine zu Boden stürzt. Zudem muss das Halteseil nicht nur in der Lage sein, die zusätzliche Last zu halten, sondern auch den Strom sicher zur Erde zu führen. Das ist aufwändig und teuer. Im Jahr 2020 stellte Makani den Betrieb ein.
  • Das andere Lager favorisiert die Stromerzeugung am Boden. Hierzu zählt auch das Hamburger Unternehmen Skysails, das seine Anlage in Klixbüll testet. Steigt der Drachen oder Flügel in die Höhe, spult er ein Seil ab, das einen Generator antreibt und dabei Strom generiert. Das Prinzip wird auch Jo-Jo genannt, da der Flügel immer wieder eingeholt wird – und in dieser Phase kein Strom erzeugt wird.

Alternative zum Dieselgenerator

Bis die Höhenwindkraft mit der konventionellen Windenergie gleichzieht und die Anlagen mehrere Megawatt Nennleistung haben, wird noch Zeit vergehen. Das vorläufige Ziel der meisten Akteure ist es daher, Flugwindenergieanlagen mit Leistungen bis etwa 500 Kilowatt als nachhaltige Alternative für Dieselgeneratoren zu konzipieren. „Also für Anwendungen, bei denen Mobilität, schnelles Hoch- und Herunterfahren und einfache Bedienung wichtig sind. In Kombination mit Solarzellen und wiederaufladbaren Batterien kann so eine Hybrid Power Plant (HPP) auch das Problem fluktuierender Ressourcen überkommen und kontinuierlich Strom liefern. Das ist insbesondere für Anwendungen interessant, bei denen der Transport von Dieselkraftstoff über weite Strecken teuer ist“, sagt Schmehl.

In genau diese Bresche schlägt auch Skysails. Das Unternehmen hat seit 2021 eine Anlage im kommerziellen Betrieb: auf der Insel Mauritius im indischen Ozean. „Wir sind sehr stolz, dass unsere Technologie dazu beiträgt, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen im Indischen Ozean zu verringern“, sagt Wrage.

SkySailsPower Offshore

Günstiger als alles andere

Auch Fort Felker, ehemaliger Direktor des National Wind Technology Center in den USA und ehemaliger Makani-CEO, sieht bemerkenswerte Vorzüge der Höhenwindkraft: „Die Technologie ermöglicht es, mit leistungsschwächeren Anlagen mehr Energie zu ernten.“ Auch europäische Forscher gehen davon aus, dass sich deutlich bessere Kilowattstundenpreise als mit gewöhnlichen Windrädern realisieren lassen. In einer IWES-Höhenwind-Studie aus dem Jahr 2013 ist die Rede von zwei bis vier Cent je Kilowattstunde – damit wäre die Höhenwindkraft günstiger als alle bekannten Energieerzeugungs Varianten. Doch nicht nur der Preis ist heiß, auch die Verfügbarkeit. Während die Dreiflügler nur an besonders gut belüfteten Standorten – etwa offshore – auf 4000 Volllaststunden kommen (das Jahr hat 8760 Stunden!), sollen Höhenwindkraftwerke selbst im Binnenland bis zu 6000 Volllaststunden liefern können, sagen die Befürworter. Und so könnten zwei Megawatt starke Höhenwindkraftwerke auf höhere Stromerträge als fünf Megawatt starke Windräder kommen.

Windkraft liefert Grundlast

Die enorme Verfügbarkeit des Höhenwindes und die hohen erwartbaren Jahresstromerträge würden die Stetigkeit der Windenergie verbessern und damit das große Problem der Windenergienutzung lindern: die Volatilität. Die Windkraft könnte Grundlaststrom liefern. Und das nicht nur auf hoher See, sondern praktisch überall an Land, also dort wo die Menschen leben. Das würde wiederum den Aufwand reduzieren. Denn um all den Windstrom aus dem Norden Deutschlands in den Süden zu transportieren, braucht es enorme Leitungskapazitäten. Wären die Windstromerzeuger dezentraler angeordnet, so müssten weniger Leitungen gebaut werden.

Fazit: Wird die Höhenwindkraft also zum Fluch für die konventionellen Dreiflügler? Erst mal nicht. Vorzeigbare Demonstratoren im Megawattbereich hat bislang keines der weltweit an der Technologie arbeitenden Unternehmen. Zu den noch zu lösenden Herausforderungen zählen nämlich nicht nur die technischen, weiß Po Wen Cheng, Windkraftspezialist am Institut für Flugzeugbau an der Uni Stuttgart: „Die Technik ist das eine, das andere ist die Kostengleichung. Mit zunehmender Anlagengröße steigt der Eigengewichtsanteil überproportional.“

Cheng sieht Zukunftspotential, dämpft aber allzu hohe Erwartungen: „Das Verhältnis Kilowatt zu Masse ist sicherlich besser als bei konventionellen Windenergieanlagen, aber hier geht es nicht nur um Beton und Stahl, sondern auch um ein sehr komplexes und dynamisches System das ständig gesteuert werden muss um stabil zu bleiben.“ Ganz zu schweigen von den genehmigungsrechtlichen Hürden – denn viele Stakeholder nutzen den Luftraum, unter anderen die Luftfahrt.

TEXT Daniel Hautmann
FOTO SkySails Power GmbH