Interview mit Ismail „Isi“ Tüfekçi von Digitalism
Er jobbte an der Supermarktkasse und im Plattenladen, um sich sein DJ-Equipment zu finanzieren. Jetzt zählt İsmail „Isi“ Tüfekçi vom Elektro-House-Duo „Digitalism“ zu den bekanntesten DJs weltweit. Wie er das geschafft hat, verrät er hier…
Spielst du eigentlich ein Instrument?
Nein. Kein einziges.
Wie bist du dann zur Musik gekommen?
Ich war schon in jungen Jahren sehr Musik-affin und hab’ wirklich jeden Freitagabend auf „OK Radio“ die besten Dance-Tracks auf Kassette aufgenommen. Das, was man heutzutage runterladen kann, hab’ ich stundenlang recorded. Und in den Sommerferien arbeitete ich sechs Wochen lang in einem Lager durch, um mir zur Belohnung einen Plattenspieler zu kaufen. Da war ich so 14 oder 15. Dann war das Equipment da, dann kamen die ersten Schulpartys mit Freunden, und die Dinge nahmen ihren Lauf…
Ein paar Jahre später landetest du in einem Plattenladen, der dein Leben veränderte. Der Dreh-und-Angel-Punkt deiner Karriere.
Stimmt. Auf einer Party hatte ein Typ so geile Musik aufgelegt. Ich fragte ihn: Alter, wo hast du bloß diese Platten her? Ab da marschierte ich einmal in der Woche in diesen Laden im Hamburger Schanzenviertel und kaufte mir drei bis vier Platten. Ich wurde Stammgast – und lernte meinen späteren „Digitalism“-Partner Jens kennen, der dort jobbte. Nach dem Abi fing ich selber dort an zu arbeiten.
Das war doch bestimmt ein Eldorado für dich.
Ja, das war wie ein Ritterschlag, eine echte Befreiung! Ich wollte von meinen Eltern unabhängig sein und mir mein Equipment selber verdienen. Deshalb saß ich nebenbei auch noch bei „Real“ an der Supermarktkasse.
Wir wurden immer wieder ins kalte Wasser geworfen, das war alles „learning by doing“
Das finde ich bewundernswert. Sich seinen Traum selbst zu erarbeiten.
Mein ganzer Freundeskreis war so. Hauptsache, viel arbeiten und Spaß haben, viel lernen und viel teilen. Und das immer mit der Hoffnung, das sich irgendwann einmal das Richtige ergibt. Nach dem Motto: Selbst wenn eine Tür zugeht, öffnen sich Spalten.
Du warst zur richtigen Zeit am richtigen Ort – und gingst da durch…
Ja. Ich hatte meinen Traum-Nebenjob im Plattenladen und nach einiger Zeit kam der Chef auf mich zu und sagte: „Wir würden dich gerne ausbilden.“ Also machte ich dort eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann.
Und parallel hast du aufgelegt.
Zu diesem Zeitpunkt jobbte ich alle zwei Wochen im „Schuppen 20“, einem Restaurant am Hamburger Fischmarkt, als DJ. Auf Weihnachtsfeiern und Firmenpartys. Da konnte ich mich austoben. Klar musste ich auch mal Sachen spielen, die die Leute hören wollten. Aber mit der Zeit konnte ich auch meine Musik bringen – und die Leute haben dazu abgefeiert.
Wo und wie hast du eigentlich damit angefangen, eigene Musik zu produzieren?
Zu Hause. Ich legte mir einen „Magic Music Maker“ zu – einige aus meiner Generation werden den vielleicht noch kennen – und experimentierte damit herum. Ich kaufte mir zig Sample-CDs, probierte Sachen aus und brachte mir auf diesem Weg alles selber bei.
Dann wurde das Ganze professioneller…
Genau. Jens organisierte uns über seinen Vater, der in einer IT-Firma arbeitet, einen günstigen Computer und das Producing-Programm „Logic“. Wir fingen an, gemeinsam zu produzieren, weil wir nicht nur Platten von anderen kaufen und spielen wollten. Dann ging es los. Auf der Closing-Party des legendären Hamburger Clubs „Kontor“ legten Jens und ich bis morgens um 8 Uhr im VIP-Raum auf. Von dem Gig machten wir einen Bootleg und ließen den auf Platte pressen. Ein Freund wurde darauf aufmerksam, schickte die Platte an seine Kontakte. Tja, und dann kam eines Morgens um 4 Uhr die SMS: „Ich möchte euch unbedingt signen“. Der nächste Ritterschlag!
Euer erstes Album „Idealism“ kam ein halbes Jahr später heraus – und ging durch die Decke.
Das haute richtig rein, was uns alle überraschte. Wir sind ja natürlich gewachsen, bei uns gab es nie einen Strategieplan. Und wir hatten mit unserem damaligen Label „Kitsuné“ keine Platten rma mit Riesen-Marketingbudgets, die jetzt unendlich Kohle in uns reininvestierte.
Wann hattet ihr zum ersten Mal wirklich das Gefühl: Das hier kann groß werden.
Als wir in Belgien im legendären „Culture Club“ auflegten, drehten 1.500 Leute komplett durch. Da ging es richtig ab! Zu diesem Zeitpunkt hatten wir bereits 30.000 Platten verkauft, dass war damals richtig gut. Und plötzlich wurden dann auch noch die großen Major-Labels auf uns aufmerksam.
Zu Recht. Denn ihr habt euch Stück für Stück aus eigener Kraft nach oben gearbeitet.
Ich habe aufgelegt, produziert, ein Album gemacht und live gespielt, ohne vorher zu wissen, wie das eigentlich geht. Keiner hatte uns je erklärt, wie es läuft. Wir wurden immer wieder ins kalte Wasser geworfen, das war alles „learning by doing“.
Ist es für Nachwuchs-DJs heute einfacher, Musik zu machen?
Es ist viel, viel einfacher, alles ist zugänglicher. Früher musstest du erst einmal teures Equipment kaufen. Das brauchst du heute nicht mehr: Du kannst mit deinem iPhone oder iPad Musik machen. Du kannst dir auf YouTube DJ-Tutorials angucken. Wir dagegen hatten nur unseren 933 MHz-Rechner, und mussten wie Indiana Jones oder McGyver die richtige Fährte finden…
Wie sollte ein Nachwuchs-DJ, der selber eine gute Nummer produziert hat, heute am besten vorgehen?
Nutze die neuen Technologien und baue dir eine Fanbase auf. Heute wird es einem durch Portale wie Facebook, Soundcloud und Resident Advisor sehr einfach gemacht, sich und seine Musik zu präsentieren. Und: Mittlerweile gucken Plattenfirmen nicht mehr zu erst auf die Musik, sondern die Soundcloud- oder Facebook-Klicks. Je mehr Klicks, desto interessanter. Andererseits ist auch die Konkurrenz und die Auswahl größer geworden: Wenn heute einer eine Musikrichtung macht, machen dasselbe nicht zehn, nicht Hundert, sondern Tausende.
Welche persönliche Einstellung brauchen junge DJs denn, um sich und ihre Musik nach vorne zu bringen?
Wichtig ist, dass sie an sich glauben, aber keinen Druck aufbauen. Nicht „Ich muss, ich muss“, sondern „Es passiert, wie es passiert“. Sie sollten kreativ sein, selbst wenn kein Geld da ist. Sie sollten einfach irgendwo auflegen, selbst wenn es ein kleiner Laden ist. Sie sollten sich auch die Zeit nehmen, ihr Auflegen zu perfektionieren. Das ist ein steiniger Weg, der geht über Jahre! Denn nichts ist für einen DJ schlimmer, als einen Hit zu produzieren und nicht zu wissen, wie man auflegt. Es ist in etwa so, als würdest du deine Ausbildung abschließen – und hättest gerade mal die Grundkenntnisse drauf.
Wie rätst du bei Misserfolgen?
Die gehören dazu. Und sind gesund. Es liegt ja nicht daran, dass du schlechte Musik machst, sondern dass sich der Markt verändert. Es ist eben alles viel schneller und intensiver geworden. Und wenn gerade nicht deine Zeit ist, dann ist eben nicht deine Zeit. Viele lassen sich davon herunterreißen. Dabei ist es viel wichtiger, dass alles harmonisch läuft, dass du glücklich bist und dass du ein ehrliches Team um dich hast.
Authentisch zu bleiben, das ist super wichtig.
Du wirkst extrem gelassen.
Mir hilft es sehr, dass ich eine wirtschaftliche Ausbildung habe. Mal boomt es, dann geht die Konjunktur auch wieder runter. Das ist auch im Musikbusiness genauso. Man muss realistisch sein. Was hat man in der Vergangenheit gemacht, wo steht man jetzt und wie geht es weiter? Das sind ehrliche Unternehmerfragen, denen man sich stellen muss. Ich bin zwar Künstler, aber auch Unternehmer. Das Ganze wird irgendwann einmal einfach zu Business.
Trotzdem scheint bei euch die Liebe und Leidenschaft für die Musik im Vordergrund zu stehen.
Authentisch zu bleiben, das ist super wichtig. Auch wenn es mal auf und ab geht, du darfst nie die Liebe zur Musik aus den Augen verlieren. Denn es gibt auch viele Schattenseiten, die an die Substanz gehen: Dauer-Jetlag, wenn du die ganze Zeit zwischen den Kontinenten unterwegs bist. Dauer-Party, das ganze Umfeld. Nachts arbeiten. So brauchst du in Spanien und anderen südlichen Ländern vor drei oder vier Uhr morgens gar nicht zu spielen. Vorher kommen die Leute gar nicht.
Wie schafft man es als DJ, mit der ersten großen Erfolgswelle nicht gleich abzuheben?
Das ist schwer, das gebe ich zu. In Belgien und Japan kamen wir mit unserem ersten Album in die Top Ten. Das war so verrückt, was da abging. Wir hatten mit nichts gerechnet, plötzlich waren wir in Asien und die Leute drehten durch. Doch man sollte versuchen, neutral zu bleiben. Auch wenn man diese Bilder nie vergisst und sie einem auch gut tun.
Welcher Moment wird dir immer in Erinnerung bleiben?
Wir hatten in Tokio einen Gig, gingen danach total geflasht von der Stimmung zurück ins Hotel, um uns in aller Ruhe die Konzert-DVD anzugucken. Plötzlich bewegte sich alles im Zimmer: ein Erdbeben von der Stärke 7,0 – wie uns der Concierge dann erklärte! Das hat uns eines gezeigt. Egal was ist, du musst immer die Ruhe bewahren…
TEXT Katharina McKechnie
FOTO Nadya-Vanessa Gruber & Digitalism