Bildungsministerin Wara Wende: Das ändert sich mit dem neuen Schulgesetz ab dem nächsten Schuljahr in Schleswig-Holstein
Frau Wende, zum nächsten Schuljahr wird sich an den Schulen in Schleswig-Holstein durch ein neues Schulgesetz eine Menge ändern. Welches sind die wichtigsten Neuerungen?
Erstens: Wir werden künftig eine klar strukturierte Schullandschaft in Schleswig-Holstein haben: zwei Säulen – Gemeinschaftsschulen und Gymnasien – in der Sekundarstufe I und drei Säulen – Gemeinschaftsschulen, Gymnasien und Berufliche Gymnasien – in der Sekundarstufe II. Damit setzt dieses Schulgesetz einen Schlusspunkt unter die jahrelange Auseinandersetzung um die Schulformen. Und zweitens war es unser erklärtes Ziel, die Zahl erfolgreicher Bildungsbiografien zu erhöhen, deshalb schaffen wir mehr Möglichkeiten, das Abitur zu erlangen: Wir lassen mehr Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe zu und wir ermöglichen Kooperationen zwischen Gemeinschaftsschulen ohne eigene Oberstufe und Schulen mit Oberstufe.
An den Gemeinschaftsschulen sollen alle Schüler zusammen in einer Klasse lernen, egal welchen Schulabschluss sie anstreben. Welche Vorteile hat das für die schwächeren und stärkeren Schüler?
Ich bin der festen Überzeugung, dass das längere gemeinsame Lernen und die gezielte individuelle Förderung die besten Mittel sind, um junge Menschen optimal zu fördern. Unser Ziel muss sein, dass Schüler und Schülerinnen all ihre Potenziale entfalten können, die intellektuellen wie die kreativen und natürlich auch die sozialen. Das gilt sowohl für die lernschwachen wie für die hoch begabten Schüler und Schülerinnen. In gemeinsamen Lernsituationen können z.B. die Schwächeren von den Begabteren lernen, indem sie sich Dinge abschauen. Aber auch die Begabteren profitieren vom Miteinander: Wenn sie ihren Mitschülern und Mitschülerinnen den Unterrichtsstoff noch einmal in ihren eigenen Worten erklären, vertieft sich auch bei ihnen das zuvor Gelernte. Von den dabei zugleich erworbenen sozialen Kompetenzen einmal ganz abgesehen.
Es soll neben den normalen Klassen sogenannte Leistungsgruppen und Flexi-Klassen geben. Was bedeutet das konkret?
An den Gemeinschaftsschulen wird es in der Tat, mit Ausnahme der ‚Flexiblen Übergangsphase‘, keine abschlussbezogenen Klassenverbände mehr geben. In diesen ‚Flexiblen Übergangsphasen‘ können Schülerinnen und Schüler die Jahrgangsstufen 8 und 9, je nach ihrem individuellen Leistungsvermögen, in zwei oder drei Jahren durchlaufen. Ziel ist, dass auch Leistungsschwächere den Hauptschulabschluss erreichen. Ansonsten werden in den Gemeinschaftsschulen alle Jugendlichen gemeinsam – in binnendifferenzierender Form – unterrichtet. Ab der Jahrgangsstufe 7 ist es allerdings möglich, in einzelnen Fächern Lerngruppen einzurichten, in denen dann nach Leistungsfähigkeit und Neigung der Schülerinnen und Schüler differenziert wird.
Wenn die Eltern meinen, ein mittlerer Abschluss sei für ihr Kind richtig, der Schüler einer Gemeinschaftsschule in der 10. Klasse aber spürt, dass er ein ganz gutes Abitur schaffen könnte: Kann er nun einfach draufsatteln und die Oberstufe besuchen?
Voraussetzung dafür ist, dass er oder sie ein bestimmtes Leistungsniveau erfüllt. Das bedeutet konkret: eine 2,4 in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch, in keinem Fach eine 6 und ein Notendurchschnitt über alle Fächer von mindestens 3. An der Gemeinschaftsschule können drei Schulabschlüsse erworben werden: der Erste allgemeinbildende Schulabschluss nach insgesamt neun Schuljahren, der Mittlere Schulabschluss nach zehn Schuljahren und das Abitur nach 13 Jahren. Die Eltern müssen sich also nicht schon am Ende der Grundschulzeit für einen Bildungsgang entscheiden, sondern können gelassen die weitere Entwicklung des Kindes abwarten.
Welche Wahlmöglichkeiten haben Gymnasiasten? Können sie sich aussuchen, ob sie in acht oder in neun Jahren Abitur machen?
In der Regel führen unsere Gymnasien in acht Jahren bis zum Abitur. Allerdings gibt es 15 Ausnahmen: Elf Gymnasien bieten G9 und vier bieten beide Möglichkeiten an. Wer sich für das Gymnasium als weiterführende Schulart entscheidet, sollte sich vor Ort über das jeweilige Angebot informieren. Unabhängig davon möchte ich eins aber noch betonen: Die ‚Schauergeschichten‘ über G8 scheinen mir übertrieben. Ich habe bei meinen Schulbesuchen in den vergangenen Monaten festgestellt, dass viele Gymnasien sehr kreativ und überaus konstruktiv mit der verkürzten Schulzeit umgegangen sind: Es gibt eine Vielzahl guter Beispiele für gut gemachtes G8!
Illustration Raphaelle Martin
Text Joachim Welding
Foto Bildungsministerium