Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Kampf der Kantinenkatastrophe

Martha Payne ist knallhart. In ihrem Blog lässt sie kein gutes Haar an schottischem Schulessen. Es macht nicht satt, ist nicht gesund und schon mal gar nicht lecker. In ihrem Blog „NoSeconds“ rechnet sie mit kümmerlichen Kroketten ab und rückt Schulkantinen ins (un-)rechte Licht. Martha ist 10 Jahre alt. Eigentlich wollte sie nur dokumentieren, wie der Verpflegungsalltag an ihrer Schule aussieht. Damit hat sie in kürzester Zeit 8 Millionen Follower gewonnen. Einer ihrer größten Fans: Starkoch Jamie Oliver. Denn auch er hat die Missstände in Schulkantinen erkannt und will etwas dagegen tun. Bei uns geht ebenfalls ein Ruck durch die Kochtöpfe – dank engagierter Promis.

„Brav aufessen, damit du groß und stark wirst!“ Auch wenn alle Enkelkinder bei diesem Satz mit den Augen rollen, hat Oma doch irgendwie Recht. Kinder und Jugendliche haben besondere Bedürfnisse. Um gesund heranzuwachsen, brauchen sie eine ausgewogene Ernährung. Und wenn der Magen so laut knurrt, dass man dem Matheunterricht kaum folgen kann, geht die Rechnung einfach nicht auf. An immer mehr Schulen wird länger unterrichtet, bis 16 oder sogar 17 Uhr. Klar, dass man als Schüler zwischendurch etwas essen muss. Schaut man sich aber auf den Tellern in Schulkantinen mal um, kann einem schnell der Appetit vergehen. Der kleinen Martha ging es auch oft so. Ein mickriges Stück Pizza, ein winziger Muffin, eine harte Krokette, ein bisschen Mais – nur ein Beispiel ihrer traurigen Ausbeute. Aber woran liegt das? Wieso erinnert die Panade an Pappe, wo kommt das ganze Fett her, warum sind die Erbsen so grau und die Würstchen so schrumpelig? Wie so oft im Leben spielt das liebe Geld auch hier keine unbedeutende Rolle. In einigen deutschen Städten darf ein Schulessen nicht mehr als 2 Euro kosten. Mehr ist nicht drin. Man kann an einer Hand abzählen, was für ein Essen man für dieses Geld bekommt.

Klingt nach einem unlösbaren Problem. Zum Glück haben sich aber verschiedene bekannte Köche entschlossen, mit ihrem Namen und Wissen für besseres Essen an Schulen zu kämpfen.

Einer von ihnen ist der englische Starkoch Jamie Oliver. Während die britische Regierung seelenruhig zusah, wie immer mehr Kinder dem Übergewicht verfielen und sie munter weiter mit Fast Food fütterte, schmeckte dem berühmten TV-Koch dieser Zustand gar nicht. Er setzte es sich zum Ziel, Frittenfett und Schokolade gegen Brokkoli und Müsliriegel einzutauschen. In seiner Sendung „Jamie‘s School Dinners“ rüttelte er Eltern wie Politiker wach und machte auf die untragbaren Zustände aufmerksam. Was folgte, war die Unterschriftenaktion „Feed Me Better“, die bessere und vor allem gesündere Versorgung forderte. Stolze 270.000 Menschen zückten die Stifte, um die Petition zu unterschreiben. Und siehe da: Der britische Premierminister sicherte umgehend rund 417 Millionen Euro zu, mit denen nicht nur Speisepläne überarbeitet, sondern auch Küchen umgebaut und das Schulküchenpersonal geschult wurde. Ein voller Erfolg, für Jamie Oliver und für Kinder wie Martha.

In Deutschland tat sich Tim Mälzer, der „deutsche Jamie Oliver“, 2009 mit dem Bundesernährungsministerium, der Bertelsmann-Stiftung und dem Küchenhersteller Nolte zusammen und rief den Wettbewerb „KLASSE, KOCHEN“ ins Leben. Das Konzept ist ebenso simpel wie gut. Jedes Jahr gibt es ein anderes Motto, über das im Internet abgestimmt wird. Im Anschluss ist Kreativität gefragt. Jede Schule kann sich zum jeweiligen Thema ein Rezept überlegen und damit bewerben. Die besten 10 Schulen werden mit einer hochwertigen Übungsküche belohnt, in der die Schüler ihre Rezepte und Ideen in die Tat umsetzen können. Und weil Mälzer ein Mann der Tat ist, kocht er auch gern mal eine Runde mit. Echt klasse!

Auch die Berliner TV-Köchin Sarah Wiener kämpft für „Gesunde Kinder und was Vernünftiges zu essen“. Darum trägt ihre Stiftung auch genau diesen Beinamen. Es geht dabei um das Offensichtliche: weniger Übergewicht und ein besseres Verständnis für Lebensmittel. Darüber hinaus hofft Sarah Wiener mit ihrer Initiative, Kinder zu kritischen Verbrauchern zu erziehen, die einen großen Bogen um Fertiggerichte machen. Die notwendige Basis dafür möchte sie in Kochkursen vermitteln, in denen Schüler lernen, wie sie ganz alleine ein gesundes Mittagessen oder nahrhafte Pausensnacks zubereiten können. Ganz spielerisch – so klappt es ja bekanntlich am besten.

Anderer Ansatz, gleiches Ziel bei Johann Lafer. Im November 2012 ging im rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach die erste Mahlzeit in der „Genuss-Mensa mit Bildungsauftrag“ über den Tresen. Das Motto lautet „Aus der Region für die Region“. Spaghetti Bolognese und Hühnerfrikassee werden nicht von der Speisekarte verbannt, sondern einfach mit besseren Produkten gekocht. Statt Billiggeflügel vom Discounter gibt es glückliche Hühner vom Bauern nebenan. Durch die gläserne Küche können die rund 1.200 Schüler des örtlichen Gymnasiums dabei zusehen, wie ihre Speisen zubereitet werden, getreu dem Grundsatz „mehr Transparenz, mehr Bewusstsein.“

Über einige deutsche TV-Köche möchte man nur den Kopf schütteln, wenn sie ihre Gesichter auf Fertigsuppenbüchsen drucken lassen oder uns von überlebensgroßen Plakaten einschlägiger Fast Food-Ketten anstrahlen. Zum Glück gibt es aber auch die mutigen Vorreiter wie Oliver, Mälzer und Lafer, die sich dafür einsetzen, dass Kinder wie Martha Payne eines Tages etwas Leckeres und Gesundes in der Schule auf den Teller bekommen.

Tim Mälzers Autogramme sind sehr gefragt.

Tim Mälzers Autogramme sind sehr gefragt.

www.neverseconds.blogspot.de 
www.jamieoliver.com 
www.jamieoliverfoodfoundation.org.uk 
www.tim-maelzer.de 
www.sarahwiener.de 
www.sarah-wiener-stiftung.de 
www.tim-maelzer.info/schulkuechen
www.johannlafer.de
www.foodeducation.de

Text Slaven Marinovic
Fotos KLASSE, KOCHEN!