Das Tor zur Welt

Das Tor zur Welt

Der Hamburger Hafen

Hamburg bietet viele Sehenswürdigkeiten. Man kann mit dem Dampfer über die Alster schippern, über den Jungfernstieg flanieren oder auf St. Pauli bis in die Puppen feiern. Einer der besten Momente, welche die Hansestadt zu bieten hat, wartet aber an den Landungsbrücken. Wenn man dort am frühen Morgen steht, die Möwen über den Köpfen aufgeregt kreischen, ein leichter Nebel vom Fluss aufsteigt und man die salzige Meerluft von der 100 Kilometer entfernten Nordsee einatmet, dann packt einen die Sehnsucht nach der großen weiten Welt. Man blickt auf das Trockendock „Elbe 17” der Großwerft Blohm + Voss hinüber und wenn man Glück hat, läuft gerade eines der jährlich 180 Kreuzfahrtschiffe in den Hafen ein und hupt die Bewohner von St. Pauli aus ihren Betten.

Die meisten Hamburger und Touristen standen schon einmal an den Landungsbrücken, aber nur die wenigsten wissen, wie es in der Welt des Hafens genau aussieht. Der 7.200 Hektar große Hafen ist die Quelle von Hamburgs Reichtum, Deutschlands Tor zur Welt und eine der Schlagadern der Globalisierung. Ohne den Hamburger Hafen würden nicht wöchentlich neue Kleidungsstücke bei H&M hängen, es gäbe keine Produkte von Apple bei Saturn, es gäbe kein Benzin zum Tanken, keine Möbel bei IKEA, keinen Kaffee zum Frühstück und kein Obst für zwischendurch. Der Hamburger Hafen ist der größte Seehafen in Deutschland und der zweitgrößte in Europa. Er verbindet 400 Millionen Menschen in Nord-, Mittel- und Osteuropa mit 950 Häfen in über 178 Ländern. 21 Linienschiffe fahren jede Woche nach Fernost, zehn nach Südamerika, sieben nach Nordamerika und 13 nach Afrika. Rund 10.000 Seeschiffe laufen den Hamburger Hafen jährlich an und schlagen über 130 Millionen Tonnen Ware um. Die offizielle Gründung des Hafens liegt 824 Jahre zurück. Am 7. Mai 1189 gewährte Kaiser Friedrich Barbarossa den Hambur- Das Tor zur Welt Specials gern in einem Freibrief die Zollfreiheit von der Nordsee bis in die Stadt. Dass diese Urkunde eine Fälschung war und tatsächlich aus dem 13. Jahrhundert stammt, hat die Hamburger nie gekümmert und so wird seit 1977 jedes Jahr am 7. Mai der Hafengeburtstag gefeiert. Im Mittelalter begünstigten Hamburgs Nähe zur Nordsee und die Lage an der Elbe die rasche Entwicklung des Hafens und der Stadt. In der Hansestadt wurden Tuche, Leinen, Pelze, Holz, Wein, Salz und Gewürze umgeschlagen und das Bier aus den zeitweise 600 Brauereien vor Ort wurde in ganz Nordeuropa getrunken. Was für eine Bedeutung Hamburg schon früh für Mittel- und Osteuropa hatte, zeigte sich an der Herkunft der Gäste, die zu dem Pfingstmarkt im Jahr 1365 anreisten: Sie kamen aus Ungarn, Böhmen, Österreich, Bayern, Flandern und den Niederlanden. Mit der Zunahme des Welthandels im Laufe der folgenden Jahrhunderte wuchs auch Hamburg als internationaler Handelsund Hafenstandort schnell. Die Hamburger pflegten Handelsbeziehungen mit Ländern auf der ganzen Welt und die bedeutenden Hamburger Kaufmannsfamilien wie Laeisz importierten Baumwolle, Kautschuk, Zucker, Kaffee und Tabak aus Südamerika nach Europa und wickelten den Transport mit ihren eigenen Reedereien wie der Hamburg Süd ab. In den letzten 50 Jahren hat die weltweite Vernetzung und der stark angestiegene internationale Warenaustausch den Aufstieg des Hamburger Hafens zu einem der wichtigsten Drehkreuze der globalisierten Wirtschaft weiter vorangetrieben. Ein Drittel des weltweiten Containerschiffsverkehrs wird heute von der Hansestadt aus gesteuert und Deutschland besitzt mit 1.742 Schiffen die größte Containerschiffsflotte der Welt. Der mit Abstand wichtigste Handelspartner Hamburgs ist dabei China. Jeder dritte Container stammt aus dem Reich der Mitte oder ist für den dortigen Markt bestimmt und die Chinesen nennen Hamburg liebevoll „Hanabo”, was auf Chinesisch „Burg der Chinesen“ bedeutet.

rgb_hhla_cta_mg_4768Wenn ein deutsches Unternehmen Ware aus China nach Deutschland transportieren möchte, beauftragt es hierfür einen Spediteur, der den gesamten Warenfluss organisiert. Der Spediteur bucht über einen Linienagenten einen Containerstellplatz auf einem Schiff und organisiert die Anlieferung des Containers mit der Ware von der Produktionsstätte in einen chinesischen Hafen. Nach der Verzollung wird der Container auf ein Containerschiff verfrachtet und geht dann auf die Reise nach Deutschland. Der Transport eines Containers mit einem Seeschiff kostet nur rund 0,07 Euro pro Kilometer (mit der Bahn und dem LKW sind es dagegen 0,75 Euro bzw. 1,00 Euro) und mit vier Wochen Fahrtzeit braucht ein Seeschiff für die 21.000 Kilometer zwischen China und Deutschland nur eine Woche länger als die Züge, die auf der 11.000 Kilometer langen Strecke zwischen China und Deutschland verkehren. Nach 28 Tagen erreicht das Containerschiff Cuxhaven. Dort kommen zwei Elblotsen bei allen Containerschiffen, die länger als 340 Meter sind, an Bord und übernehmen die Navigation in der Elbmündung, einem der meist befahrenen Reviere der Welt. In Brunsbüttel werden sie durch zwei Revierlotsen abgelöst, die das Schiff an den Sandbänken und Inseln in der Elbe vorbei in einer Fahrrinne von 250 bis 400 Metern Breite bis nach Hamburg manövrieren. Hinter der Hamburger Stadtgrenze werden die Elblotsen von zwei Hafenlotsen ersetzt, die sich in dem weit verzweigten Hamburger Hafen wie in ihrer eigenen Westentasche auskennen und das Containerschiff zu seinem Stellplatz führen. Der Zoll prüft nun anhand der Frachtdaten, ob die Ladung korrekt deklariert wurde. Sofern keine Zweifel bestehen, kann sie am Terminal gelöscht werden. Auf der Grundlage des Stauplans, den der Reeder dem Terminalbetreiber mehrere Tage vor der Ankunft des Containerschiffs zugesendet hat, wird jeder Container mit einem Greifarm vom Schiff gehoben und dann mit großen Portalhubwagen in ein Zwischenlager gebracht. Welches Verkehrsmittel im Anschluss zum Einsatz kommt, hängt vom Zielort des Containers ab. Ist die Lieferung für Hamburg oder Norddeutschland bestimmt oder besonders eilig, kommt ein LKW zum Einsatz. Der LKW fährt den Container entweder direkt zum Endabnehmer oder zu einem Logistikzentrum, wo der Container entladen wird. Liegt der Zielort dagegen weiter entfernt, wird der Container entweder per Flussschiff oder per Eisenbahn weiter transportiert

rgb_hhla_van_carrier_ctbEs gibt 470 Bahnübergänge und 305 Kilometer Bahngleise im Hafengebiet

rgb_hhla_marco_polo_2Über 1.000 Speditionen sind in der Hansestadt ansässig.

Mit mehr als 200 Güterzügen und 5.000 Eisenbahnwaggons, die täglich in dem Hamburger Hafen verkehren, ist Hamburg der größte Eisenbahnhafen Europas und der zweitgrößte der Welt. Es gibt 470 Bahnübergänge und 305 Kilometer Bahngleise im Hafengebiet. 20 Kilometer südlich, im niedersächsischen Maschen, werden die einzelnen Güterwaggons am größten Rangierbahnhof Europas nach ihren Zielorten sortiert und weiterbefördert. 80 Eisenbahnunternehmen sind im Hamburger Hafenbahnnetz tätig und über 1.000 Speditionen sind in der Hansestadt ansässig. Insgesamt haben 1.700 Transportunternehmen ihren Hauptsitz in Hamburg. Dazu zählt die weltbekannte Reederei Hapag-Lloyd an der Binnenalster, die mit 150 Schiffen eine der weltweit größten Containerschiff-Reedereien der Welt ist und daneben auch Kreuzfahrten für betuchte Passagiere auf bekannten Schiffen, wie der „Europa”, veranstaltet.

Bei Hapag-Lloyd arbeiten 6.950 Menschen. Im Ganzen beschäftigt der Transport- und Logistiksektor in der Region Hamburg 322.000 Erwerbstätige, die jährlich 20,6 Milliarden Euro umsetzen. Die Hafen- und Logistikwirtschaft bietet Hunderte von Berufen und hat für jeden Geschmack den passenden Beruf im Angebot. Die Taumacher und Seiler, die so genannten „Reepschläger”, die Schiffstaue auf langen, geraden Bahnen herstellen und nach denen die Reeperbahn, die „sündigste Meile der Welt”, benannt wurde, sind zwar aus dem Hafenbild verschwunden, dafür sind aber viele Berufe dazugekommen. Schiffsausrüster statten Schiffe mit moderner Technik aus, Schifffahrtskaufleute, Reedereimitarbeiter und Logistiker organisieren mit Hilfe des Internets Transportketten auf der ganzen Welt und die Bootsbauer von heute sind nicht nur auf Werften gefragt, sondern auch im Flugzeugbau. Die Wasserschutzpolizei, der Schiffsmeldedienst sowie die nautische Zentrale überwachen und koordinieren den sicheren und reibungslosen Schiffsverkehr im gesamten Hafengebiet und die Hamburg Port Authority vermietet in Namen der Stadt Hafengrundstücke und beaufsichtigt das Straßen-, Brücken- und Bahnnetz. Die „Hamburger Hafen und Logistik AG” (HHLA) ist das größte Hafenlogistik- Unternehmen der Stadt und hat den Aufstieg des Hafens mit zahlreichen Innovationen entscheidend geprägt. 1961 baute die HHLA den modernsten Bananenschuppen Europas, in dem das Obst mit Aufzügen wettergeschützt aus den Schiffen in die Lagerhallen transportiert werden konnte. 1967 wurde das Überseezentrum als größter Verteilerschuppen der Welt eingeweiht. 1995 setzte der Burchardkai als erster Containerterminal der Welt Satellitendaten zur genauen Positionierung der Container im Lager ein und 2002 wurde mit dem Containerterminal Altenwerder die Hafenanlage mit dem weltweit höchsten Automatisierungsgrad in Betrieb genommen. Gegründet wurde die HHLA 1885 als „Hamburger Freihafen-Lagerhaus-Gesellschaft“, um das damals größte und technisch fortschrittlichste Logistikzentrum der Welt, die Hamburger Speicherstadt, zu errichten und zu betreiben. In dem riesigen Gebäudekomplex aus roten Lagerhäusern aus Backstein wurden Waren wie Kaffee, Tee, Kakao und Gewürze für längere Zeit trocken und gut temperiert gelagert. In dem benachbarten Sandtorhafen konnten die Überseeschiffe erstmals mit beweglichen Krananlagen direkt an der Kaimauer abgefertigt werden – zuvor mussten sie mitten im Elbstrom be- und entladen werden. Der Sandtorhafen verfügte außerdem über Schuppen zum Zwischenlagern der Ware und – ebenfalls neu – über Gleisanschlüsse zwischen Schuppen und Kränen.

rgb_hhla_cta-nacht_mg_5686Am Sandtorhafen stehen heute die schicken Bürogebäude und Apartmenthäuser der Hafencity. Viele bekannte Unternehmen wie der Konsumgüterkonzern Unilever haben sich in dem neuen Stadtteil niedergelassen. Die Hafenanlagen von früher gibt es nicht mehr, doch noch immer weht der Wind des Handels vom Meer die Elbe hinauf und man versteht, wieso Hamburg das „Tor zur Welt” genannt wird.

Text Steven Marinovic
Fotos Hamburger Hafen und Logistik AG